Entwürfe, Visionen und Modelle von Hans Scharoun stehen im Mittelpunkt unserer aktuellen Galerieausstellung. Mit ihr erinnert das Historische Museum Bremerhaven anlässlich des 50. Todestages an einen besonderen Architekten der Stadt, in Kooperation mit dem Bremer Zentrum für Baukultur und dem Kulturamt Bremerhaven.
Doch wer war Hans Scharoun und was machte ihn als Architekten aus?
Kindheit an der Küste: Scharouns erste Jahre in Bremerhaven
Die Ausstellung beginnt mit einer Vielzahl an Entwürfen, die Hans Scharoun seit seiner Schulzeit ab 1909 sowie als Student und als freischaffender Architekt bis 1934 zu verschiedenen Aufgabenstellungen in Bremerhaven anfertigte.
Geboren wurde Hans Scharoun am 20. September 1893 in Bremen. Ein Jahr später zog seine Familie nach Bremerhaven. Sein Vater trat hier eine Stelle als kaufmännischer Direktor der Karlsburg-Brauerei an. Von der Wohnung aus konnte der junge Hans auf die Werften an der Geeste blicken, die sein Interesse weckten. Die Verbindung der Stadt zum Wasser, die Häfen und Werften inspirierten ihn. Schon früh fertigte er Bauzeichnungen von Schiffen und Gebäuden an, wie etwa von einem „Arbeiter-Einfamilien-Wohnhaus“ im Jahr 1909, dem er – wie in einem Katalog – eine Baunummer gab.
Sein Zeichenlehrer Fritz Hartmann förderte seine künstlerische Begabung. Und so zeichnete Scharoun bereits während seiner Schulzeit Entwürfe für das geplante Stadttheater in Bremerhaven und beteiligte sich als Abiturient an einem Wettbewerb zum Bau einer Kirche am heutigen Martin-Donandt-Platz. Stilistisch war er damals vom Historismus und Jugendstil geprägt. Maritime Elemente, wie etwa Bullaugen, aber auch Aspekte der Hafenarchitektur finden sich später noch in seinen Entwürfen. Schon mit siebzehn Jahren war Scharoun klar:
„Der selbstständige Architekt soll sich nicht von Sensationen, sondern von Reflexionen leiten lassen.“
(Hans Scharoun, 1910)
In Berlin und Ostpreußen: Der junge Architekt
1913 begann Scharoun ein Studium an der TH Charlottenburg und reichte einen Entwurf für die Bebauung des neuen Bahnhofs in Geestemünde ein, der ebenfalls in der Ausstellung zu sehen ist. Der Erste Weltkrieg beendete sein Studium jedoch frühzeitig. In Ostpreußen war er bei einem Baukommando zum Wiederaufbau eingesetzt. Nach dem Krieg blieb er dort und übernahm ein Büro als freier Architekt. Außerdem hatte er eine Professur an der Staatlichen Akademie für Kunst und Kunstgewerbe in Breslau inne.
In den folgenden Jahren pflegte er enge Kontakt zu den Architekten des „Neuen Bauens“, wie etwa Bruno Taut und Mies van der Rohe und wurde Mitglied des Werkbundes. Hans Scharoun entwickelte sich so zu einem gemäßigten Vertreter der Moderne, der sich den Ideen des organischen Bauens verbunden fühlte.
Typisch für seine Architektursprache ist die Abkehr von rechtwinkligen Formen, das Spiel mit Treppen und verschiedenen Ebenen. Für ihn stand die Beziehung zwischen Raum und Mensch im Mittelpunkt. Er gestaltete ein Haus von innen her, orientierte sich am fließenden Übergang von Wohnen, Arbeiten und Freizeit.
Aus dieser Zeit stammt ein Sofa, das in die Galerieausstellung integriert ist. Auf dem bequemen, geschwungenen Sitzmöbel hat man einen wunderbaren Überblick über Entwürfe, Modelle und Visionen des Architekten. Das Sofa steht beispielhaft für Scharouns modernes Denken, seine Abkehr vom rechten Winkel und sein Raumkonzept. In seiner Form ist es heute noch ungewöhnlich. Scharoun entwarf es speziell für seine eigene Wohnung im ostpreußischen Insterburg und passte es dem Raum an. Später stand das Sitzmöbel im Haus seines Schwagers Hans Hoffmeyer in der Friesenstraße 6 in Bremerhaven. Seit 1991 lädt es auf der Galerie des Historischen Museums Bremerhaven zum Verweilen ein.
Häuser und Visionen: Scharoun in den 1930er und 1940er Jahren
Nach dieser kleinen Pause geht es weiter mit Scharouns Arbeiten aus den 1930er und 1940er Jahren. Die Zeit der nationalsozialistischen Diktatur brachte für Scharoun einen herben Einschnitt. Großaufträge blieben ihm als Vertreter des „Neuen Bauens“ nun verwehrt. Seine Verbindung zu Bremerhaven stellte in dieser Zeit eine entscheidende Hilfe dar. 1920 hatte er Anne-Marie Hoffmeyer, genannt Änne, geheiratet, eine Kindheitsfreundin aus der Nachbarschaft. Über die Baufirma Hoffmeyer & Huss erhielt Scharoun einige Aufträge.
Dazu zählt das Einfamilienhaus für seinen Schwager Hans Hoffmeyer in der Friesenstraße 6. Zur Straße hin zeigt es sich als quadratischer Bau, der durch einen schmalen Trakt mit einem geschwungenen Gebäudeteil mit großzügigen Glasfenstern zum Garten hin verbunden ist. Im Inneren konnte Scharoun seine Vorstellungen vom organischen Bauen verwirklichen.
Neben konkreten Bauprojekten widmete sich Scharoun in dieser Zeit in Hunderten von Aquarellen vor allem seinen Visionen. Ohne konkreten Ort und Anlass entwickelte er darin architektonische Vorstellungen zu der „Frage nach der kommenden Gestalt“. Seine Ideen blieben allerdings Utopien. Eine Auswahl an Aquarellen ist in der Ausstellung zu sehen.
Wohnkomplexe, Bibliothek und Konzerthaus: Scharoun und sein Spätwerk
„Das Wort Stararchitekt existierte damals noch nicht, aber ein schillernder Vogel war Hans Scharoun schon.“
(Carmen Thiele, Deutschlandfunk, 20.09.2016)
Scharoun kehrte nach dem Zweiten Weltkrieg nach Berlin zurück, wurde Baustadtrat, Professor an der TU Berlin und erster Direktor der neu gegründeten Akademie der Künste (West). Außerdem arbeitete er weiterhin erfolgreich als Architekt.
Eine Auswahl an Modellen aus der Zeit von 1949 bis 1955 belegt Scharouns Beteiligung an zahlreichen Wettbewerben, wie etwa für eine Amerika-Gedenkbibliothek in Berlin (1951), die Bebauung der Insel Helgoland (1952), das Stadttheater in Kassel (1952) oder die Bürgerweide Bremen (1955). Obwohl Scharoun in diesen Wettbewerben immer wieder Anerkennung fand und den ersten Platz erlangte, wurden die in der Ausstellung gezeigten Entwürfe nicht verwirklicht.
Den Abschluss der Ausstellung bilden schließlich Fotografien von Horst Hänel. Sie zeigen realisierte Gebäude, wie etwa die Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz und sein bekanntestes Bauwerk, die Philharmonie in Berlin.
Ein Museum für Bremerhaven
Schließlich erhielt Hans Scharoun noch einen Auftrag in Bremerhaven. Mit dem Deutschen Schifffahrtsmuseum schließt sich der Kreis zur Stadt seiner Kindheit. Scharoun knüpfte mit dem Bau an die maritime Geschichte der Stadt an. Das aus verschiedenen Baukörpern bestehende Museumsgebäude enthält für Scharoun typische Elemente des organischen Bauens auf verschiedenen Ebenen und stilistische Elemente wie Bullaugen und Geländer, die an eine Reling erinnern. Zur Weser hin öffnet sich das Haus durch große Fenster.
Hans Scharoun starb am 25. November 1972 in Berlin. Die Fertigstellung des Deutschen Schifffahrtsmuseums erlebte er nicht mehr.
Wer möchte, kann zum Schluss noch einmal auf dem Scharoun-Sofa Platz nehmen und den Besuch der Ausstellung Revue passieren lassen. Von hier aus blickt man durch das Fenster auf die Hochschule Bremerhaven, an deren Stelle früher die Karlsburg-Brauerei stand und Hans Scharoun seine Kindheit verbrachte. So schließt sich der Kreis.
Galerieausstellung „Hans Scharoun – Entwürfe, Visionen, Modelle“ – Laufzeit 26.11.2022 bis zum 26.02.2023 – Historisches Museum Bremerhaven – An der Geeste, 27570 Bremerhaven – Öffnungszeiten: Di-So 10-17 Uhr – Der Eintritt ist frei
Zur Ausstellung findet ein Begleitprogramm statt. Die Termine werden auf der Website des Museums angekündigt.
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