Im Sommer flattern aus diversen Winkeln der Welt Postkarten in den heimischen Briefkasten – ein kurzer Gruß aus der Ferne, macht Freude und Fernweh. Hauptsaison der Flaschenpost ist eigentlich im Herbst und Winter, wenn die Stürme toben. Der Brief aus der Flasche kommt nicht aus der Mode, braucht keine Briefmarke, dafür kräftigen Wind. Auch wenn er Jahre später ein unbestimmtes Ziel erreicht, löst er Freude bei den Findern aus. Im Deutschen Schifffahrtsmuseum können Flaschenpost-Sendungen gelesen werden.
Der Sommer ist Postkartenzeit. Über einen bebilderten Gruß aus dem Briefkasten freue ich mich mehr als über eine Sammlung von Fotos auf den Social-Media-Kanälen. Aber wie sieht das mit noch vermeintlich altmodischeren Briefen aus – Flaschenpostsendungen? Werden sie noch geschrieben? Wenn ja, von wem und warum? Und wer findet sie und wie? Das will ich wissen. Im Gegensatz zum normalen Brief sind die schwimmenden Sendungen an keine bestimmte Person adressiert. Sie sind so lange unterwegs, wie Sturm und Wasser sie treiben. Bis jemand sie am Ufer oder im Sand findet. Einige „Strandräuber“ überlassen ihre Post aus dem Meer dem Deutschen Schifffahrtsmuseum.
Achtung, Strandräuber!
So erzählt mir Andreas Klenck, dass er zu Strandspaziergängen häufig einen Stock mitnimmt, um damit im Schlick zu stochern. Die Sehnsucht ist stets da, wieder Post zu finden – Flaschenpost. „Als Kind habe ich am Wremer Tief eine Flasche aus Córdoba gefunden – natürlich habe ich zurückgeschrieben, allerdings nie eine Antwort bekommen.“ Seither ist Klencks Jagdfieber entfacht. Er holte sich Tipps von einem „Profi“ und wird selbst zum Absender. „Ein Kutterfischer aus Dorum brachte es in seinem Seemannsleben auf eine ganze Kiste voll mit Flaschenpostbriefen. Er riet mir, die Flaschen bei ablaufendem Wasser und ablandigem Wind einzusetzen, damit sie genügend Zug haben, um ins Meer zu ziehen“, erklärt er mir. Als er vor wenigen Jahren mit seinen Patenkindern gut verkorkte Weinflaschen mit einer Karte und der Adresse der Kinder losschickt, freuen sich diese sechs Monate später über Post aus Großbritannien. „Man weiß nie, ob eine Antwort kommt. Aber wir blieben dran und verschickten weiter vom Wremer Tief. Eine andere Flasche schaffte es innerhalb von neun Monaten nach Norwegen. Die Kinder schreiben sich nun regelmäßig – auf dem Postweg – und wollen sich mal besuchen.“
Glückwünsche bis Sinnfragen ans Meer
Eigentlich nur in die Natur will ein Museumsbesucher, der lieber die Briefe sprechen lässt. „Ich liebe es am Strand zu spazieren, ich will nicht zwangsläufig etwas finden“, versichert er mir. Dennoch ist der Ordner, den er bei sich führt gut gefüllt. Von Liebesbriefen, Treueschwüren über Suchen nach Brieffreunden, dem Lebenssinn und Lebenszeichen aus einem fernen Winkel der Welt lassen sich alle möglichen Absichten aus den Sendungen herauslesen. Mal verschickt ein Kindergarten mit der Hoffnung auf ein Zeichen. Mal sind es Glückwünsche für ein Brautpaar. Viele Kinder kennen das Prinzip des Meeresbriefs und testen es aus. „Ich bin auf dem Schiff von meinem Opa und meiner Oma. Wer eine Flaschenpost findet, soll eine abschicken“, heißt es auf einem etwas karierten Blatt. Aber auch Teenager, die beim Abend am Deich den weiteren Lebensweg ausloten wollen, erhoffen sich Antworten über die Meerespost. „Was soll ich bloß mit meinem Leben anfangen“, lese ich auf einem zerknitterten Verpackungsfetzen einer Haarfarbe, die in einer Flasche steckte.
Liebesschwüre aus der Flasche
Ein Liebespaar schwört sich und der Welt ewige Liebe und bittet um Antwort für den Fall „dass wir nicht mehr das Team sind, das wir jetzt sind. Damit wir wieder zusammenfinden.“ Der „Strandräuber“, wie sich der Herr selbst bezeichnet, dokumentiert jeden Fund akribisch. Die Liebesbekundung ist gut abgeheftet und wurde ordentlich durchgeschüttelt. Nach dem Sturmtief Nadia findet der „Strandräuber“ sie, lese ich auf einer Notiz.
Manchmal ist die Post aus dem Meer vergilbt, kaum leserlich, weil Wasser die Buchstaben verschwimmen ließ. „Das Liebespaar hat es sehr gut gemacht: Sie gaben ein wenig Sand in den Flaschenboden und haben den Korken mit viel Wachs ordentlich versiegelt. Sie dachten wohl, die Flasche würde sehr lange unterwegs sein, letztendlich waren es aber nur rund eineinhalb Jahre“, erzählt mir der Finder. Wermutstropfen: Das Paar ist heute kein Team mehr.
Entschlüsselung über Umwege
Hans Schümann fuhr viele Jahre zur See. Einige Male begleitet ihn seine Frau Jutta und nutzt die Zeit an Bord, um Post über das Meer zu verschicken. An den unterschiedlichsten Stellen wirft sie Flaschenpostsendungen ins Meer – und muss nicht lange warten. Aus Indonesien, Taiwan, Kanada und den USA trudeln Antworten ganz klassisch in den Briefkasten in Lemwerder ein. Jutta Schümann zeigt mir stolz einen vollen Ordner mit Briefen aus aller Welt.
Mal brauchen die Briefe aus dem Meer wenige Monate, mal 16 Jahre. Besonders in Erinnerung bleibt ihr ein Exemplar aus Taiwan. Vorsichtig falte ich dünnes Papier auseinander, das von fein säuberlich geschriebenen chinesischen Buchstaben geflutet ist. Wunderschön anzusehen – aber unmöglich zu entziffern für Jutta Schümann. Erst als sie in einem asiatischen Restaurant das Personal um eine Übersetzung bittet, entschlüsselt sich ihr der Inhalt.
Flaschenpost aus dem Meer – Begegnung an Land
Für den jungen Mann war es ein ganz besonderer Brief aus dem Meer, weil er noch nie eine Flaschenpost bekommen hatte. Später heuert er als Koch auf einem Schiff an und kommt nach Hamburg. „Wir bekamen einen Anruf, dass er im Hafen steht. Sofort haben wir uns auf den Weg gemacht und einen wundervollen Tag mit ihm verbracht“, erzählt Jutta Schümann. Beim Blättern durch ihren Ordner lese ich viele berührende Botschaften von einem Jungen aus Alaska, der zu einem indigenen Volk gehört oder einem Pärchen, das beim Segeln einen von Jutta Schümanns Meeresbriefen fischt. Häufig entstehen langjährige Brieffreundschaften. Wie eine Botschaft aus dem Meer doch zu Begegnungen an Land führen kann, denke ich.
Älteste Flaschenpost
Besonders gefreut habe ich mich auch über den Besuch von Romke Johannes Kloosterman aus den Niederlanden. Eines Tages steht er im Deutschen Schifffahrtsmuseum. In den Händen hält er eine alte Flasche, in der ein gelblicher Zettel steckt. Er arbeitete damals in Bremerhaven und erneuerte die Spundwand an der Kaiserschleuse. Beim Abriss der alten Wand fiel ihm die Flasche in die Hände, die sich dort verklemmt hatte. „Es ist die erste und einzige Flaschenpost, die ich jemals gefunden habe“. Ein wenig Recherche lässt vermuten, dass der Zettel aus den 20er Jahren stammt und die Flasche mundgeblasen ist. Ein historisches Objekt, das im Deutschen Schifffahrtsmuseum natürlich gut aufgehoben ist.
Das Sammlungsgremium, das über alle Eingänge in den Bestand entscheidet, spricht sich für eine Aufnahme aus. Es ist die bisher wohl älteste Flasche, die den Weg zu uns ins Museum findet. Sie wird in den Sammlungsbestand eingehen und eventuell noch genauer von Forschenden betrachtet werden – denn Flaschenpostsendungen können wissenschaftlich relevant sein, das weiß ich von Dr. Katrin Kleemann.
Forschung zur Flasche
Die Umwelthistorikerin forscht im Deutschen Schifffahrtsmuseum zur Geschichte der Deutschen Seewarte. Im Archiv stößt sie auf einige Flaschenpostsendungen. Das DSM wiederum besitzt historische Strömungskarten, die früher durch gefundene Flaschenpostsendungen ermittelt wurden. Das Wissen über die Meeresströmungen und Winde nutzten Schiffe schon zeitig, um die Ozeane schneller zu überqueren. „Üblicherweise enthielten die Flaschen Vordrucke, auf denen das Datum des Auswurfs, der Name des Schiffes sowie des Kapitäns vermerkt waren. Auf der Rückseite sollte der Finder ausfüllen und dokumentieren, wann und wo die Botschaft gefunden wurde. Die Person konnte die Antwort in der deutschen Botschaft eines jeden Landes abgegeben oder direkt an die Deutsche Seewarte nach Hamburg schicken“, berichtet mir die Wissenschaftlerin. Nicht bekannt ist, wie viele Flaschen Neumayer damals aussetzte.
Historischer Datenträger
Geduld und Entschleunigung gehören zur Post aus dem Meer wie Wasser und Wind. 2018 stolpert ein Paar am Strand von Wedge Island, etwa 150 Kilometer nördlich vom westaustralischen Perth über eine Flasche, die am 12. Juni 1886 von der Barke PAULA ins Meer ausgeworfen wurde. Die Absender suchen nicht in erster Linie einen Briefkontakt, sondern Daten zur Entschlüsselung der Meeresströmungen: „Georg Neumayer, Gründer der Deutschen Seewarte in Hamburg – Vorläufer des Bundesamts für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) sowie des Deutschen Wetterdiensts – warf ab 1864 Flaschenpostsendungen in die Ozeane, um die Meeresströmungen nachzuvollziehen. Das australische Fundstück ist eine von den Flaschen, die im Namen der Deutschen Seewarte über Bord geworfen wurden. Sie war also 131 Jahre unterwegs“, berichtet mir Katrin Kleemann. Verspätet, aber nicht zu spät ist die Sendung, denn sie ergänzt die Datensammlung der einstigen Deutschen Seewarte noch immer.
Sturmerprobt und wasserfest
Was sagt mir das? Die Chancen, an Küsten und Stränden über eine Flasche zu stolpern, ist in jedem Fall gegeben. Das wissen auch Andreas Klenck und andere „Strandräuber“. Letzterer verrät mir sogar eine Saison: „Herbst und Winter sind die beste Zeit, dann ist ordentlich Wind da und das Treibgut am Strand ist besser sichtbar“
Auch Klenck ist bevorzugt nach „richtigem“ Wetter unterwegs: Wenn der Sturm sich draußen legt, dann zieht es ihn nach draußen an den Strand. „Es ist ansteckend und ich kann nicht mehr davon lassen. Die Hoffnung ist immer da, dass ich wieder eine Botschaft finde.“
Mein Tipp: Augen auf beim nächsten Strandspaziergang. Es könnten Nachrichten im Sand oder Watt stecken. Und wem keine Flasche in die Hände fällt, der kann in der Kogge-Halle die Flaschenpostkiste in der Schmöker-Ecke erkunden.
Wer jedoch einen Brief auf dem Meer findet, kann ihn gern mit uns und einem größeren Publikum teilen. Wir sind an Flaschenpostsendungen interessiert und stellen diese nach Bedarf in einer Flasche öffentlich aus. Infos dazu an presse@dsm.museum
jkhkj
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