Eis am Stiel, Eiswürfel, Slush Ice oder Crushed Ice – für uns ist Eis heute selbstverständlich. Es ist fast jederzeit verfügbar und gut lager- und haltbar. Das ist nicht immer der Fall. Und das ausgerechnet zu Zeiten, wo es dringend benötigt wird. Ohne Kühlmöglichkeit verderben Lebensmittel. Und ohne Kühlung sind komplette Fischfänge der Fischfangboote ruiniert. Was also tun, wenn gerade keine Minusgrade herrschen und Winter ist?
Ohne Eis geht es nicht
Die Seestadt Bremerhaven ist Keimzelle der Deutschen Hochseefischerei. Daher ist gerade hier der Bedarf an Eis für den gefangenen Frischfisch groß. Im Fischereihafen liegen seinerzeit die Fischkutter im Päckchen (Seite an Seite an den Kajen). Ihre Fanggebiete sind begrenzt. Denn ohne ausreichende Kühlung müssen sie schnell wieder den Hafen anlaufen, die empfindliche und leicht verderbliche Ladung löschen und zur Auktion unter den Hammer bringen.
In Bremerhaven erntet Eis
Der Schiffszimmermann, Fischer, Reeder und Begründer der Deutschen Hochseefischerei Friedrich Busse errichtet bereits 1888 ein Eishaus. Allerdings kann er zu dieser Zeit das Eis noch nicht maschinell herstellen. Er muss es „ernten“ lassen. Wie erntet man Eis, mögt Ihr Euch fragen? Busse legt Eisteiche an. Während der Frostperiode beginnt dann die schwere Arbeit. Zuerst werden mit einem Eispflug Furchen in das Eis geschnitten. Anschließend wird das Eis mühevoll mit Hilfe von Sägen zerteilt. Die so entstehenden Blöcke mit einer Dicke von bis zu 15 Zentimetern und Seitenlängen von 0,6 x 1 Meter wiegen etwa 100 Kilogramm.
So kalt wie die Winter auch sind zu der Zeit, frieren tun die Arbeiter bei dieser schweren Arbeit nicht. Die schweren Blöcke lässt Busse im Eishaus lagern, bevor er sie zerkleinert an die Fischereiboote gehen. Allerdings weist das Eis Verunreinigungen von Ablagerungen, Pflanzen oder anderem in den Teichen auf. Auch gibt es keine Garantie für kalte Winter, sodass das Eis knapp werden kann und im schlimmsten Fall sogar aus Norwegen importiert werden muss.
Ganzjährig verfügbar
Busses Plan: Er will eine ganzjährige, verlässliche Eisproduktion. 1911 errichtet er das Eiswerk. 1912 nimmt er die Geestemünder Eiswerke F. Busse in Betrieb. Damit ist er der größte Eisproduzent Deutschlands und beliefert ausschließlich die Fischindustrie.
Jeder Fischtrawler verlässt Bremerhaven mit bis zu 120 Tonnen in den Schiffsbäuchen zur Kühlung des Fangs. Weiteres Eis steht bei Rückkehr der Schiffe bereit und wird über den Fisch in den Körben und Kisten geschaufelt. Ein Knochenjob!
Saubere Elektro-Lastwagen
In die Auktionshallen gelangt das Eis mit elektrobetriebenen Lastwagen. Ja, E-Autos gibt es in Bremerhaven damals schon! Hansa-Lloyd in Bremen baut diese Elektro-Eislaster. Abgase von Verbrennungsmotoren sind in den Auktionshallen und in der Nähe vom Frischfisch nämlich strengstens verboten. Der letzte von ihnen ist 1990 außer Dienst. Einen Original-Lastwagen seht Ihr übrigens im Historischen Museum Bremerhaven.
Gleich in der Nähe der großen Dampf-Kältemaschine, mit der das Eis produziert wird. In die Zylinder dieser Röhren-Eisanlage wird Trinkwasser gefüllt und von außen mit Ammoniak gekühlt, sodass der Gefriervorgang in Gang gesetzt wird. (Tipp: Fragt die Mitarbeiter*innen im Historischen Museum, ob sie Euch eine Vorführung der Maschine geben können).
Mit dieser Dampf-Kältemaschine stellt Busse seinerzeit riesige Eisplatten her – die ersten Deutschlands. Mit einer Größe von sechs mal drei Metern und einer Dicke von bis zu 35 Zentimetern wiegen die Platten bis zu 5.000 Kilogramm. Sie werden an die Decke gehieft und fallengelassen. Die weitere Zerkleinerung erfolgt per Muskelkraft. Eine extrem anstrengende Arbeit für die über siebzig Arbeiter.
Eis in all seiner Vielfalt
Heute verrichten acht Mitarbeiter die moderne Eisproduktion am neuen Standort im Fischereihafen, Kühlhauskai. Täglich werden über 150 Tonnen Eis produziert, wovon 70 Prozent immer noch an die Fischindustrie geliefert werden. Aber die Produktpalette hat sich in den Jahren enorm erweitert. So gehören heute Würfeleis, Feineis für Cocktails und Scherbeneis zum Portfolio. Letztes wird für Fischfilets benötigt, die sonst unter dickeren Eisstücken zerquetscht würden. Abnehmer von Eis in PE-Beuteln sind bundesweit die Fleisch- und chemische Industrie, Tankstellen sowie Eventagenturen. Die US-Army lässt seinerzeit ihre Truppen mit dem Eis aus Bremerhaven in Polen, Rumänien, Bulgarien und Griechenland versorgen.
Das Eis aus Bremerhaven rettet den Weltcup
Große Mengen Eis benötigen auch andere, die nichts mit der Lebensmittelindustrie zu tun haben. Dazu gehört auch die Indoor-Skihalle in Bispingen. Aber auch den Biathlon-Weltcup in Oberhof haben die Bremerhavener Eiswerke schon gerettet. 2006 fällt kein Schnee, der aber nun mal zwingend notwendig ist für einen Ski-Weltcup. Also rollen täglich sechs Transporter mit rund 300 Kubikmetern Kunstschnee von Bremerhaven zum Weltcup in Oberhof. Dafür mahlen die Profis vom Eiswerk das Eis mit einem speziellen Verfahren zur erforderlichen Schnee-Qualität. Auch die Skispringer in Willingen und Oberstdorf loben die Qualität des Bremerhavener „Schnees“.
Zwar wird am ehemaligen Standort der Bremerhavener Eiswerke kein Eis mehr produziert, aber durchaus noch genossen. Die ehemalige Produktionshalle der Bremerhavener Eiswerke ist heute die beliebte „Altes Eiswerk„-Location und beherbergt ein Restaurant, eine Trampolinhalle und eine Kidszone.
Kais Restaurant hat den Industriecharme erhalten. Während Ihr hier nach Herzenslust schlemmt, begegnen Euch überall Relikten von früher.
Peter Skrodolies
Ich lese das Logbuch regelmäßig per RSS Feed, aber diesen Artikel fand ich besonders interessant, vielen Dank dafür!
Eine Nachfrage: liefert das Eiswerk immer noch an die US Army oder haben sie geliefert, das habe ich nicht genau verstanden.
Und bei der Gelegenheit auch generelle Kritik am Gendern hier: was soll das? Dieser Blog richtet sich ja allgemein an Besucher Bremerhavens und ich bin ziemlich sicher, dass diese Leser das Gendern mehrheitlich ablehnen (wie die Mehrheit der Bevölkerung).
Tanja Albert
Moin Peter Skrodolies!
Ich freue mich, dass Ihnen der Blogbeitrag gefallen hat.
Die US-Army bezieht kein Eis mehr über die Eiswerke Bremerhaven für ihre Truppen.
Vielen Dank für die Einschätzung zum Gendern. Der Lesefluss ist dadruch sicher ein anderer und gewöhnungsbedürftig. Wir möchten damit jedoch alle Lesenden ansprechen und berücksichtigen und hoffen, dass dadurch nicht die Lust an den Themen unseres Blogs genommen wird.
Beste Grüße
Tanja Albert
Kai
Ich lehne das Gendern auch ab!
Tanja Albert
Guten Morgen Kai!
Danke, dass Sie uns an Ihrer persönlichen Entscheidung teilhaben lassen.
Beste Grüße
Tanja