Ich möchte Euch heute die Geschichte eines Bildes erzählen, das für die Sammlung des Deutschen Auswandererhauses bedeutend ist: „In der Pass- und Polizeistube vor der Emigration” von Felix Schlesinger aus dem Jahr 1859. Warum malt ein Künstler einen solchen Moment? Und jetzt in der Reisezeit frage ich mich: Welche historische Bedeutung hat eigentlich ein Pass?
Das Gemälde hängt heute in der Wartehalle des Norddeutschen Lloyd, also dort, wo die Passiere der dritten Klasse ab 1869 warteten, ehe sie sich an Bord ihrer Auswandererschiffe begaben. Es ist natürlich nicht die echte Wartehalle, die ist längst abgerissen, sondern eine originalgetreue Rekonstruktion in einem Museum. Das Deutsche Auswandererhaus präsentiert anhand realer Familiengeschichten 300 Jahre deutscher Aus- und Einwanderungsgeschichte. Während einer Zeitreise durch inszenierte Ausstellungsräume fühlt man sich selber wie ein Auswanderer im 19./20. Jahrhundert. Moderne Technologien wie Audiostationen oder Touchscreens begegnen klassischen „Kommunikationstools“ wie Roll-Landkarten, die mich an meine Schulzeit in den 1970/80er Jahren erinnern, Dioramen und klassische Gemälde – wie die „Pass- und Polizeistube“ von Felix Schlesinger.
Kinder, Großeltern und Beamte
Der gebürtige Hamburger Felix Schlesinger (1833 – 1910) gehörte der Düsseldorfer Malerschule an, die zwischen 1819 und 1918 mehr als 4.000 Künstler zählte. Zwischen 1826 und 1859 entwickelte sich die Königlich-Preußische Kunstakademie zur führenden deutschen Ausbildungsstätte für Maler. Insbesondere die Düsseldorfer Landschafts- und Genremalerei war damals führend und stilbildend. In dieser Tradition malte Felix Schlesinger Szenen mit Kindern, ihren Großeltern, aber auch sozialgeschichtlich pointierte Themen – wie unser Bild.
„In der Pass- und Polizeistube vor der Emigration“ schuf er kurz nach der ersten großen Auswanderungswelle, bei der sich Anfang der 1850er Jahre mehr als 700.000 Deutsche auf den Weg in die Neue Welt begaben. Es zeigt einen Moment, der existentiell war für jeden legalen Auswanderer: die Ausstellung des Passes in einer Amtsstube.
Ich frage mich: Was hat es eigentlich mit einem Pass auf sich? Warum ist er existenziell – und seit wann gibt es Pässe überhaupt?
Der Pass – Eine Kurzgeschichte
„Der Paß ist der edelste Teil von einem Menschen.Er kommt auch nicht auf so einfache Weise zustande wie ein Mensch. (…)“
Bertold Brecht, Der Pass, in: Flüchtlingsgespräche
Ich erkundige mich bei meiner Kollegin Tanja Fittkau, die als Historikerin unsere Museumssammlung betreut. Sie erzählt mir, dass der Ursprung des deutschen Wortes „Pass“ sowohl im französischen „passe“ als auch im italienischen „passo“ liegt und „Durchgang“ bzw. „Durchreiseerlaubnis“ bedeutet.
Obwohl die Menschen sehr mobil waren, war das Leben im Europa der Frühen Neuzeit geprägt von Misstrauen gegen Fremde. Ob Jemand als fremd angesehen wurde oder nicht, hatte allerdings wenig mit seiner Zugehörigkeit zu einer Region oder einem Staat zu tun. So waren beispielsweise Arbeitswanderer, obwohl sie oft über weite Strecken reisten, entlang ihrer üblichen Route bekannt und galten nicht als fremd. Im Gegensatz dazu konnten Unbekannte, die aus dem eigenen Territorium kamen und ohne erkennbaren Grund reisten, leicht als bedrohliche Kriminelle oder Bettler angesehen werden. Das konnte unter Umständen gefährliche Folgen haben, da nicht legitimierten armen Reisenden, „Vagabunden“, harte Strafen drohten – schlimmstenfalls eine Hinrichtung. Daher war es für Reisende wichtig, sich mit Belegen für ihren Status zu versehen.
Der Pass als schriftliches Zeugnis
Bei diesen frühen Pässen handelte es sich um schriftliche Zeugnisse verschiedenen Ursprungs. Es konnte sich ebenso gut um Formblätter handeln, die mit einem Siegel oder Wappen versehen waren, oder um frei formulierte Texte mit prominenter Unterschrift. Die Vertrauenswürdigkeit und Reichweite des jeweiligen Dokumentes ergab sich durch die Bekanntheit des Unterzeichnenden: Während ein Pfarrer zumeist nur regional bekannt war, kannte man Monarchen europaweit.
Monarchen, Fürsten und deren Berater, die sehr häufig um die Ausstellung derartiger Belege gebeten wurden, entwickelten ein bestimmtes Verfahren und konkrete Formulare. Oftmals gehörte dazu auch eine Beschreibung des Dokumenten-Inhabers, um Verwechslungen und Täuschungen zu vermeiden. Die Ausstellung solcher Pässe war meist gebührenpflichtig und nicht auf die eigenen Untertanen beschränkt.
Ähnlich unsystematisch wie die Ausstellung von Pässen verlief deren Kontrolle. Eine allgemeine Passpflicht wurde zwar gelegentlich erlassen, aber selten konsequent umgesetzt. Das galt auch für die deutschen Territorien, obwohl dort fast jede Stadt von einer Mauer umgeben und nur durch bewachte Tore zu betreten war.
Ende des Kontrollsystems
Der Anfang vom Ende des informellen Kontrollsystems, in dem territoriale Grenzen eine eher geringe Rolle spielten und staatliche Direktiven kaum Folgen hatten, kam mit der Französischen Revolution: Spätestens 1793 gerieten in Frankreich alle Ausländer pauschal unter Verdacht. Die Folge war eine strenge Migrationskontrolle durch offizielle Identifikationspapiere. Wer sich außerhalb der Grenzen seines Kantons bewegen wollte, benötigte seit den 1790er Jahren einen offiziellen Pass seiner Gemeinde, der unterwegs auf Verlangen vorzulegen war. Ausländische Reisende hatten an der Grenze auf eine Einreiseerlaubnis aus Paris zu warten. Ähnliche Kontrollsysteme wurden in der Folge auch von anderen Staaten eingeführt. So bestand ab 1793 in Großbritannien eine Ausweispflicht für unlängst eingereiste Ausländer; die USA folgten 1798. In deutschen Gebieten wurde zunächst vor allem die Aufsicht über französische Flüchtlinge in den Fürstentümern am Rhein verstärkt. Eine allgemeine Passpflicht folgte um die Jahrhundertwende. Da die ausgestellten Pässe jeweils nur für eine Reise gültig waren, musste vor jedem Reiseantritt eine neuerliche Genehmigung eingeholt werden. Eine Ausnahme bestand lediglich für wandernde Gesellen, die ab 1808 ein für längere Zeit gültiges Wanderbuch beantragen konnten.
Das Verschwinden der Passkontrolle
Mit dem Ende der Napoleonischen Kriege und dem Wiener Kongress 1814/1815 wurde die Passpflicht in Frage gestellt. Die USA schafften sie schon 1802 wieder ab, Großbritannien folgte nach einer Übergangsfrist 1836. In den deutschen Gebieten blieb die Passpflicht dagegen bestehen, um vor allem die jeweiligen Gebiete vor dem Zuzug von verarmten, suspekten wie auch politisch unerwünschten Personen zu schützen.
Mit der Zunahme der Binnen- und Auswanderung und der Durchsetzung der Eisenbahn als Reisemittel um die Jahrhundertwende stellten Passkontrollen allerdings einen immer weniger sinnvoll zu bewältigenden logistischen Aufwand dar. Und so schaffte der Norddeutsche Bund die Passkontrolle 1867 ab. Als 1871 das Deutsche Reich gegründet wird, findet diese Bestimmung als Reichsgesetz Einzug in die Verfassung. Doch mit Beginn des Ersten Weltkrieges 1914 wird die Ausweis- und Passpflicht wiedereingeführt. Eine besondere Bedeutung kommt dem Pass schließlich während des Nationalsozialismus zu: „Weil an den Grenzen die Pässe überprüft wurden und diese oft über Leben und Tod entschieden. Wer keinen oder einen ungültigen Pass besaß, wurde in die Illegalität gezwungen“, erläutert Tanja Fittkau.
Wer war Felix Schlesinger?
Im Oktober 2006 haben wir, das Deutsche Auswandererhaus, Felix Schlesingers Gemälde als Schenkung durch den Initiativkreis Erlebniswelt Auswanderung e. V. erhalten. Der Initiativkreis hatte das Gemälde im Juli 2006 im Münchener Auktionshaus Karl & Faber für unser Migrationsmuseum ersteigert.
Felix Schlesinger gehörte zu den bedeutenden Vertretern der deutschen Genremalerei, deren Gegenstand die Abbildung von Alltagsszenen war. Als herausragendes Exponat einer Museumssammlung, die vor allem Lebensgeschichten, Fotos, Dokumente und persönliche Erinnerungsstücke von Aus- und Einwanderern enthält, stellt das Gemälde ein zentrales Dokument in den Mittelpunkt: den Pass. Inspiriert durch die starke Auswanderungswelle zu Beginn der 1850er Jahre, widmete sich Schlesinger als einer der wenigen Künstler seiner Zeit der Darstellung von Menschen, die ihre Heimat für immer verlassen wollten. In dem Werk, das unsere Besucher gleich zu Beginn ihres Ausstellungsrundgangs – also in der „Wartehalle“ – sehen, hielt Schlesinger einen dramatischen Augenblick im Leben der Auswanderer fest: die Ausstellung ihres Passes. Denn nur wer einen Pass besaß, konnte in den Zeiten der deutschen Vielstaaterei den Auswanderungshafen legal erreichen.
Und warum ist das Gemälde für das Deutsche Auswandererhaus so wichtig?
Auch das erklärt mir Tanja Fittkau:
„Der Pass steht in einer Reihe von Dokumenten, die Auswanderer seit dem 19. Jahrhundert begleiten und dokumentieren, wie beispielsweise Geburtsurkunde, Anträge auf Aus- oder Einreise, Bürgschaften, Visa und Fahrscheine. Die Einbürgerungsurkunde der neuen Heimat ist Symbol für eine erfolgreiche Ankunft in der Neuen Welt.“
Zu verschiedenen Zeiten brauchten die Auswanderer ganz unterschiedliche Dokumente. Im 18. Jahrhundert war eine Auswanderung in allen deutschen Staaten unerwünscht oder verboten, denn der Bevölkerungsverlust bedeutete eine Verminderung der absolutistischen Machtfülle. Mit Beginn des 19. Jahrhunderts wurde die „Freizügigkeit“, also das Recht des freien Umziehens, in immer mehr deutschen Staaten gewährt und in Deutschland begann eine Zeit der Massenauswanderung. Die Auswanderer benötigten Papiere, die ihre Existenz, ihre Reise, Einreise und Einbürgerung dokumentierten. Jedes einzelne Dokument bedeutete ein Stück Freiheit und lässt den beschwerlichen Weg der Auswanderung lebendig werden.
Mit einem Auswanderungskonsens entließ die Obrigkeit Bürger aus dem Untertanenverhältnis und genehmigte so die Auswanderung. Für diesen Konsens musste nachgewiesen werden, dass keine Schulden mehr in der alten Heimat zu begleichen waren und keine Militärpflicht mehr absolviert werden musste. Außerdem wurde beispielsweise mit einem Kirchenbucheintrag oder Taufschein die Identität des Auswanderers festgestellt.
Vom Reisepass zur Einbürgerungsurkunde
Nachdem so der Weg für eine Auswanderung frei war, benötigten die Auswanderungswilligen einen Reisepass und ein Ticket für die Schiffspassage. Nach der beschwerlichen Atlantik-Überquerung legitimierte ein Visum, das sich der Auswanderer vor oder nach der Reise in dem entsprechenden Konsulat besorgen musste, den Aufenthalt in der neuen Heimat. Vollendet war die Auswanderung mit der Einbürgerung in den neuen Staat. Mit der Einbürgerungsurkunde erhielt der Migrant die vollen Rechte und Pflichten eines Staatsbürgers. Diese Urkunde stellte für den Auswanderer das Symbol eines lang ersehnten Zieles dar und war das Ende eines weiten Weges. Dementsprechend hatte das Dokument einen großen Stellenwert – wie auch der Pass, ohne den er diesen Schritt niemals hätte gehen können.
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