Eine etwas andere Reiseplanung: Amerikaauswanderung im 19. und 20. Jahrhundert
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Eine etwas andere Reiseplanung: Amerikaauswanderung im 19. und 20. Jahrhundert

Die Sommerreisezeit neigt sich langsam dem Ende und bald wehen wieder bunte Blätter am Bremerhavener Deich entlang. Auch das Deutsche Auswandererhaus Bremerhaven begrüßte dieses Jahr […]

Außenfassade Deutsches Auswanderhaus.
9. Sep. 2021
7 min Lesezeit
Verschiedene Koffer in einem Gepäckraum

Die Sommerreisezeit neigt sich langsam dem Ende und bald wehen wieder bunte Blätter am Bremerhavener Deich entlang. Auch das Deutsche Auswandererhaus Bremerhaven begrüßte dieses Jahr wieder zahlreiche Besucher*innen, die ihren Urlaub in der Seestadt verbrachten. Wenn ich an meinen diesjährigen Urlaub in Deutschland zurückdenke, blicke ich nicht nur auf tolle Erinnerungen, sondern auch auf eine interessante Planungsphase zurück. Denn die Vorfreude auf einen (ent)spannenden Urlaub fängt bei mir schon bei der Reiseplanung an. Ich verbringe Stunden auf Reiseblogs, schmökere in Reiseführern oder lasse mich in den sozialen Medien von Bildern inspirieren. Für Auswanderer*innen im 19. und 20. Jahrhundert war die Planung ihrer (Aus-)Reise um einiges komplizierter und mit der einer Urlaubsreise keineswegs zu vergleichen. Viele Auswanderer*innen erhielten von Verwandten, die zuvor emigriert waren, Informationen in Briefen. Aber wie sah es mit denjenigen aus, die noch niemanden in Übersee kannten? Im Deutschen Auswandererhaus möchte ich herausfinden, wie sie sich über ihre anstehende Ausreise informierten und welche Vorbereitungen sie vor der lebensverändernden Überfahrt treffen mussten.

Die Spardose muss gefüllt werden

Für Auswanderer*innen, die sich in Übersee ein neues, wirtschaftlich erfolgreiches Leben versprachen, war die Ausreise keine spontane Idee. Denn die Auswanderung war meist eine kostspielige Angelegenheit, für die über Monate oder auch Jahre ausreichend Geldsummen gespart werden mussten. Dadurch, dass an Bord der Auswandererschiffe nur das nötigste, wichtigste Gepäck mitgenommen werden konnte, musste meistens der gesamte Hausrat verkauft werden. Für Auswanderer*innen zahlte sich dies wirtschaftlich jedoch aus, da sie dadurch weitere Einnahmen erzielten. Wenn ich daran denke, dass mir schon das Packen meines Koffers vor einer Reise manchmal schwerfällt und ich nicht entscheiden kann, was ich lieber mitnehmen möchte, möchte ich erst gar nicht daran denken, vor welcher Entscheidung Auswanderer*innen bei ihrer Auswahl standen.

Meist konnten Auswanderer*innen nur einen einzigen Koffer auf ihre Reise über den Ozean mitnehmen. © Deutsches Auswandererhaus/Foto: Melanie Holz

Gesetzliche Hindernisse

Wer legal auswandern wollte, musste einen Reisepass mitführen. Das erfahre ich, als ich bei meinen Recherchen den Blogbeitrag meiner Kollegin Ilka Seer lese, die das Problem der Reiselegitimation näher erläutert. Auswanderer*innen mussten bei ihrer jeweiligen Behörde ihres Heimatortes ihr Geburts- und Taufzeugnis sowie einen Vermögensnachweis vorlegen. Damit wollten die Behörden sicherstellen, dass Auswanderer*innen keine offenen Schulden in ihrem Heimatland zurückließen. Bei Vollständigkeit der Dokumente erhielten die Ausreisenden eine Reiselegitimation sowie ihren Reisepass. Diese Situation kann ich mir wahrhaftig vorstellen, als ich im Museum im Ausstellungsraum „Transit“ das 1859 entstandene Gemälde „In der Pass- und Polizeistube vor der Emigration“ von Felix Schlesinger erkenne, das die Ausstellung des für die Reise notwendigen Passes zeigt.

Das Gemälde von Felix Schlesinger können Besucher*innen im neuen Transitbereich unten rechts bestaunen und dabei tiefergehend über Auswanderung und Einwanderung nachdenken. © Deutsches Auswandererhaus/Foto: Melanie Holz

Ich packe meinen Koffer…

… und nehme meine wichtigsten, bedeutenden Gegenstände mit. Dies trifft zumindest auf Auswanderer*innen im 19. Jahrhundert zu, die meist nur einen einzigen Koffer bei sich trugen. Mehr Gepäck war den Zwischendeckspassagieren nicht erlaubt, denn auf den Auswandererschiffen gab es nur wenig Platz. Im Ausstellungsraum „An der Kaje“ erkenne ich in Schaukästen, was sich in ihren Koffern versteckte: persönliche Erinnerungsobjekte, Kleidung und auch Hygieneartikel wie Seife oder eine Zahnbürste. Gleich werden die Passagier*innen auf das Schiff gehen und von ihrer alten Heimat Abschied nehmen. Mit dem Packen ihrer Sachen hatten Auswanderer*innen die erste, wichtigste Hürde der Ausreise geschafft.

Eine Zahnbürste, etwas Seife und wichtige Kleidung – Für diesen Auswanderer von 1855 waren dies die einzigen Objekte, die er in seine neue Heimat mitnahm. © Deutsches Auswandererhaus/Foto: Melanie Holz

Tourismuskaufleute des 19. Jahrhunderts

Aber wie informierten sich Auswanderer*innen im 19. Jahrhundert eigentlich über Fahrkartenpreise, Schifffahrtsrouten, Abfahrtszeiten und mögliche Zielorte in Amerika? Es gab kein Internet und die meisten Menschen lebten auf dem Dorf, wo es sehr wenig Informationsmöglichkeiten gab. Im Deutschen Auswandererhaus erfahre ich, dass es sogenannte Auswanderer*innenagenten gab, die als Berater*innen fungierten, um die Reise zum Hafen, die Überfahrt sowie die Ankunft in Amerika zu organisieren. Ähnlich wie Tourismuskaufleute Reiselustige zu ihrem anstehenden Urlaub in Reisebüros beraten, informierten Agenten Passagier*innen zu ihrer Reise. Für Auswanderungswillige ohne ausreichend Geldmittel waren Auswanderungsagenten oft eine der wenigen Möglichkeiten nach Amerika zu gelangen.

Für viele Auswanderer*innen war die Reise eine lebensverändernde und unumkehrende Reise. Ein Fahrschein zurück nach Europa, wie hier von 1857, konnten sich die wenigsten leisten. © Deutsches Auswandererhaus/Foto: Melanie Holz

Oder doch eher rücksichtslose Geschäftsleute?

Ich merke jedoch schnell, dass das Agentenwesen auch seine Schattenseiten hatte und es Agenten gab, die naive Auswanderungsinteressierte zu einer Überfahrt nach Amerika überreden wollten. Denn für jede*n Passagier*in, die sie für ein Schiff gewinnen konnten, forderten sie vom jeweiligen Kapitän Handgeld ein und konnten dadurch in einem Jahr bis zu 5000 Taler verdienen. Sie versprachen Auswander*innen günstige Preise, schnelle Schiffe und bezeichneten Amerika als das Paradies auf Erden. Diese unmoralischen Verhaltensweisen kamen auf, da der Beruf des Auswanderungsagenten in den frühen 1830er Jahren nicht als offizieller Beruf eintragen war. Dadurch konnte sich jede beliebige Person Auswanderungsagent*in nennen, die einen Gewinn erzielen wollte.

In New York angekommen, begaben sich viele Auswanderer*innen ins Umland – und bemerkten dabei bedauerlicherweise, dass die Versprechungen der Agenten von Amerika als das Paradies auf Erden nicht immer eingehalten werden konnten. © Deutsches Auswandererhaus/Foto: Melanie Holz

Das Gesetz schafft Abhilfe

Im Laufe des 19. Jahrhunderts schlossen Regierungen mit ausgewählten Agenten Verträge ab, die den Agenten für den Transport und die Verpflegung der Auswander*innen Verpflichtungen auferlegten. Wenn Auswander*innen mit diesem bestimmten Agenten einen Ausreisevertrag abschlossen, konnten sie bei der jeweiligen Behörde ihres Heimatortes unverzüglich ihren Reisepass erhalten. Auswanderungsagenturen stellten nur noch vertrauenswürdige Agenten ein, da Täuschungen sonst auf ihr Unternehmen zurückfielen. Auswander*innen wussten dadurch, dass sie bei Agenturen glaubwürdige Informationen erhalten konnten. Der Beruf des Auswanderungsagenten wurde im späten 19. Jahrhundert in den regulären Berufsstand aufgenommen, wodurch sich das Bild des Agenten immer mehr wandelte.

Erste Reiseführer

Neben den Agenten konnten sich Auswanderungsinteressierte seit Ende des 19. Jahrhunderts auch in Reiseführern informieren. Das britische Familienunternehmen „Murray“ führte die sogenannten „Red Books“ ein, die neben Beschreibungen von Routen und Landschaften auch hilfreiche Informationen zu Unterkünften und lokalen Verkehrsmittel enthielten. Karl Baedeker orientierte sich an diesen und führte 1893 als einer der ersten Personen den deutschen Reiseführer ein. Mit diesem ersten Reiseführer zu Nordamerika vermittelte er grundlegende Informationen zu Land und Leute als auch zur Sprache. Die meisten Reiseführer enthielten grundsätzlich Informationen zu der Weiterreise in Amerika, der Einbürgerung und den Lohn- und Arbeitsverhältnissen.

Die wochenlange Überfahrt wurde auch dazu genutzt sich die englische Sprache anzueignen, in der Hoffnung in Amerika bessere Arbeitsplätze zu erhalten. © Deutsches Auswandererhaus/Foto: Melanie Holz

Du ju spiek Inglisch?

Bei einer anstehenden Reise ins Ausland ist es für mich ganz einfach die fremde Sprache zu erlernen: ob per App am Handy oder in einem (Online-)Sprachkurs. Aber wie sah das eigentlich im 19. Jahrhundert aus? Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde der Englischunterricht erstmalig in deutschen Schulen integriert. Gustav Langenscheidt ermöglichte Ausreisenden ab 1861 durch Unterrichtsbriefe zuhause Englisch zu lernen. 1864 folgte das „Conversationsbuch für Reisende“ von Karl Baedeker, das neben einem Wortverzeichnis auch kurze Fragen in Deutsch, Englisch, Französisch und Italienisch enthielt. Auswander*innen mit Verwandten in Amerika stützten sich auf deren Briefe, die Übersetzungen mit der dazugehörigen Lautschrift enthielten, damit sich Auswander*innen bei ihrer Ankunft schnell zurechtfinden konnten. Ab dem 20. Jahrhundert hatten Auswander*innen schließlich auch die Möglichkeit Englisch nach ihrer Ankunft in Amerika in Gesellschaften, Sprachschule oder in Firmen zu lernen.

Sprachbücher im Taschenformat mit häufigen Redewendungen konnten Auswanderer*innen helfen sich in der neuen Heimat besser zu verständigen und die ersten sprachlichen Hürden zu meistern. © Deutsches Auswandererhaus/Foto: Melanie Holz

Hatte ich zu Beginn meiner Recherchen nur Auswandererbriefe im Sinne, merke ich jetzt, dass sich Auswander*innen noch anderweitig über die anstehende Ausreise informieren konnten. Im Vergleich zu den heutigen Möglichkeiten waren diese jedoch immer noch sehr gering. Vor allem die andauernden Vorbereitungen, die Auswander*innen schon vor der Ausreise treffen mussten, haben mich überrascht – mit solch einer Vielzahl hatte ich nicht gerechnet, und das sage ich als Person, die Freude am Planen eines Urlaubes hat. Wenn ich das nächste Mal wieder während den Vorbereitungen für eine anstehende Reise von den zahlreichen Angeboten „überfordert“ bin, werde ich mir wieder ins Gedächtnis rufen, wie gut ich es doch eigentlich habe. Denn im Gegensatz zum 19. und 20. Jahrhundert kann ich dankbar über diese zahlreichen Informationsangebote sein.

Melanie Holz, Deutsches Auswandererhaus Bremerhaven

[bre_box title=“Deutsches Auswandererhaus Bremerhaven“ style=“soft“ box_color=“#002c4c“ title_color=“#FFFFFF“ radius=“5″]Columbusstraße 65, 27568 Bremerhaven
Tel.: 0471 / 90 22 0 – 0, E-Mail: info@dah-bremerhaven.de
Mehr zum Museum, aktuellen Ausstellungen, Tickets und Öffnungszeiten:
www.dah-bremerhaven.de
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