Staatsbesuche hat Bremerhaven nicht allzu viele in seiner bald 200-jährigen Geschichte erlebt. Vielleicht ist der Besuch der Queen mit seinem gesamten Drumherum deshalb noch so präsent.
Erinnerungen an einen besonderen Besuch
Elizabeth II., die wohl bekannteste Monarchin der Neuzeit, hätte am 21. April 2025 ihren 99. Geburtstag gefeiert. Und wie immer zu solchen Jahrestagen kommen Erinnerungen hoch – etwa an den 25. Mai 1978, einem nebelverhangenen, unfreundlichen und kühlen Frühlingstag in Bremerhaven, an dem meine Mutter mich ausstaffierte, als fielen Weihnachten und mein Geburtstag auf einen Tag: Eine Königin kommt schließlich nicht alle Tage zu Besuch, da muss man gut aussehen. Die Dame hatte sich nicht etwa zum Fünf-Uhr-Tee bei uns zuhause angemeldet, sondern wir gingen zu ihr: An den Straßenrand!

Staatsgäste kommt nicht so häufig nach Bremerhaven
Elizabeths Regentschaft dauert zu diesem Zeitpunkt schon mehr als 25 Jahre, aber niemand kann auch nur erahnen, dass sie am Ende ihres Lebens mehr als 70 Jahre auf dem britischen Thron gesessen haben wird. Ihre Herrschaft prägt eine Ära und hinterlässt weltweit unauslöschliche Spuren. Auch in der Geschichte von Bremerhaven. Staatsbesuche gehören für uns nämlich nicht zur Tagesordnung. Und schon gar nicht von einer derart bemerkenswerten Persönlichkeit.
Die britische Königin in ihrem dunkelbraunen Rolls-Royce vorbeifahren zu sehen, das reicht, um mir Lackschuhe anzuziehen und Falten in die Hosenbeine zu bügeln. Aber das nur nebenbei. „Sie müssen winken, wenn sie kommt.“ Die Aufforderung der Polizei durchs Megaphon klingt wie ein mahnender Appell. Machen wir natürlich in der „Bürger“, der Flaniermeile und Einkaufsstraße in der Innenstadt, an der zu beiden Seiten noch Autos parken, Straßenbahnen und Busse fahren. Fußgängerzonen kennen wir noch gar nicht.

Die Queen kommt von Kiel
Wir stehen schon an der Straße, ach was, die Masse drängt uns auf die Fahrbahn, als Harry Purvey noch die Staatskarosse poliert. So hieß der Fahrer der Königin an jenem Tag. Die königliche Yacht „Britannia“ schiebt sich langsam weseraufwärts aus dem Nebel, sie kommt von Kiel. Elizabeth II. wird von einem beeindruckenden Konvoi begleitet: Hubschrauber kreisen, Kriegsschiffe, Seenotrettungskreuzer, Polizeiboote und Barkassen eskortieren die Yacht nach Bremerhaven. Die Marine ehrt den Staatsgast mit militärischen Salutschüssen, während an Land längst die Vorbereitungen auf Hochtouren laufen, der Chauffeur auf dem Polizeihof den Wagen wienert und der Elfjährige seine Mutter ungeduldig fragt: „Wann kommt sie denn nun?“ Die Lackschuhe drücken, die Queen hat ja keine Ahnung davon.
Messingnägel halten den roten Teppich
Elizabeth II. tippelt derweil erst an Land – und man wird sich später zuraunen, die sei trotz aller Bemühungen „not amused“ gewesen von ihrem Empfang an der Columbuskaje. Denn der rote Teppich, der eigens für sie die Gangway hinab und bis zum inzwischen vorgefahrenen Rolls-Royce ausgelegt und sogar mit Messingnägeln befestigt wurde, ist durch die feuchte Witterung rutschig und nass. Beim Abstieg von der Gangway, die für 40.000 Mark extra angepasst worden war, um einen maximalen Neigungswinkel von 15 Grad nicht zu überschreiten, muss die Monarchin sich am Geländer festhalten. Dabei ruiniert sie angeblich einen ihrer ikonischen seidenen Handschuhe – der Legende nach brennt er sogar durch.
Trotz dieser Widrigkeiten bleibt die Queen wie stets ihrer Rolle treu: Sie lächelt während der Fahrt in Richtung Innenstadt, winkt aus ihrem Wagen, eine mausgraue Wolldecke auf den Beinen. Tausende Zuschauer verfolgen sie am Wegesrand und stehen in der schönsten Einkaufsstraße der Stadt Spalier. „Sie müssen winken“, quakt es aus Lautsprechern. Machen wir. Die Masse drückt, der Junge plumpst auf die Fahrbahn, der Rolls-Royce näher als nur in Sichtweite. „Und wer ist der Dicke neben ihr im Auto?“ Mutti zieht das Kind just in die Höhe, als Harry Purvey vorbeirollt und neben Elizabeth ein Mann sitzt, der nicht wie ein König aussieht. „Das ist der Koschnick…“ Keine Ahnung, wer das sein soll. Aber er lächelt nicht. Und winkt auch kaum. Und die Mutter sagt: „Jetzt wären die uns beinahe über die Füße gefahren.“
Ein Tag voller Höhepunkte
Der Besuch der Queen in Bremerhaven ist minutiös geplant und vollgepackt mit Programmpunkten. Der Koschnick neben der Königin im Auto heißt Hans mit Vornamen, er ist der Regierungschef des Landes Bremen. Ziel der Fahrt ist das Deutsche Schifffahrtsmuseum, das die Queen besucht. Auch darüber wird später zu lesen sein, sie sei „mühsam interessiert“ gewesen – ein diplomatisches Zeichen für Zurückhaltung, das ihre britischen Landsleute nur allzu gut verstehen.

Die Stadt hat zum Besuch der englischen Königin 268 Polizisten im Einsatz, um für ihre Sicherheit zu sorgen. Aber der Rolls-Royce sorgt für ein weiteres logistisches Problem: Mit vier Tonnen Gewicht ist das königliche Gefährt zu schwer für die Überfahrt der Kaiserschleuse. Daher muss die Eskorte aus 15 Polizeimotorrädern einen Umweg über den Rotensand nehmen, um die Königin wieder zurück zum Hafen und ihrer Yacht zu bringen.

Prinz Philip, der die Queen auf Staatsbesuch begleitet, bekommt von all dem gar nichts mit. Er besucht lieber eine britische Fregatte und einen deutschen Zerstörer – und gönnt sich in der Messe ein deutsches Bier. Aber nur eines!
Ein Staatsbankett wie kein zweites
Der glanzvollste Moment des Tages ist zweifellos das Staatsbankett an der Columbuskaje. An Bord der „Britannia“ versammeln sich hochrangige Gäste aus Politik und Gesellschaft: Der Bundespräsident, die halbe Bundesregierung, der Präsident der Bundesbank gehören zu den Anwesenden. Nie hat Bremerhaven an einem einzigen Tag mehr politische Gäste willkommen geheißen als an jenem 25. Mai 1978.
Ein bleibendes Geschenk für die Queen
Zum Abschied überreicht der Magistrat von Bremerhaven der Queen ein besonderes Geschenk: ein Fünfmarkstück, das 1927 zum 100. Geburtstag der Stadt geprägt worden war. Es heißt, dass dieses Stück noch heute in der Schatzkammer der britischen Krone liegt und als Erinnerung an diesen einzigartigen Besuch dient.
Die Queen – eine unvergessene Monarchin
Die Queen verlässt Bremerhaven am frühen Morgen des 26. Mai 1978, die „Britannia“ legt mit Ziel Bremen ab. Das Königspaar fliegt von dort zurück nach London. Ihr Besuch aber hinterlässt einen bleibenden Eindruck, der bis heute nachhallt. Der Glanz ihres Staatsbesuchs hat einem Elfjährigen eine Geschichte geschenkt, die er auch nach fünf Jahrzehnten immer wieder gerne erzählt – von einer rutschigen Gangway, einem durchgebrannten Handschuh und einem Staatsbesuchs, den die Stadt so kein zweites Mal erlebt hat.
Andere royale Besuche in Bremerhaven
Elizabeth II. war nicht der einzige royale Gast, der Bremerhaven beehrte, aber ihr Besuch wird vermutlich der glanzvollste bleiben. Der thailändische König Bhumibol und seine Frau Sirikit, Spaniens König Juan Carlos oder auch der imposante König von Tonga, Taufa’ahau Tupou IV., waren auch schon da. Und Willem-Alexander mit seiner Maxima. Ein Journalist hat mit ihnen ein paar Worte wechseln können – und sich daran erinnert, wie er der Elizabeth II. beinahe vor den Rolls-Royce gefallen ist.
