In meiner Mittagspause drehe ich eine Runde am Deich. Auf dem Rückweg zum Zoo überquere ich den Willy-Brandt-Platz und sehe die Schimpansen hoch über dem Zoo auf einer Plattform mit einem Betttuch spielen. Plötzlich, ohne jede Vorwarnung, höre ich die Schimpansen schreien, als ob sie um ihr Leben kämpfen würden. Im Zoo angekommen, frage ich unseren Tierarzt Bastian, was denn bei den Schimpansen los sei? Das sei ganz normale Kommunikation, sagt er. Einer aus der Gruppe fängt an, weil ihm/ihr etwas nicht passt, der nächste schreit aus Solidarität mit und bevor man sich versieht schaukelt sich das Ganze in der Gruppe hoch, die aus drei männlichen und vier weiblichen Tieren besteht. Was schnell eskaliert, ist auch genauso schnell wieder erledigt, als ob nie etwas gewesen wäre.
Warum Schimpansen im Zoo am Meer?
Schimpansen sind beliebte Tiere. Vermutlich, weil sie uns Menschen so ähnlich sind. Auch mir geht es so, denn ich könnte sie stundenlang beobachten und zu unserem Verhalten Parallelen ziehen. Trotzdem fragen sich einige unserer Besucher*innen oft, warum Schimpansen in einem Zoo, der sich auf wasserbezogene und nordische Tiere spezialisiert hat, beheimatet sind? Verschiedene Affenarten, auch Menschenaffen, gab es schon immer im Zoo, damals Tiergrotten genannt. Mit Gründung der Tiergrotten wurde kein konsequenter Schwerpunkt verfolgt, vielmehr wurden möglichst viele verschiedene Tierarten aufgenommen.
Die Geschichte von Schimpansin Jenny
Mit der Umbenennung der Tiergrotten in den Zoo am Meer kam 1983 unsere Schimpansin Jenny in den Zoo. Jenny wurde von einem Bootsmann in einer Hafenkneipe im afrikanischen Kamerun entdeckt und gegen einen Kühlschrank, eine alte Jeans und 100 DM eingetauscht. Wenn man ihr einen Putzlappen in die Hand drückte, wischte sie den Tresen ab, ein Verhalten, das sie heute immer noch an den Tag legt. Sie lief an Bord mit Windeln herum und war der Liebling der Schiffsbesatzung. Wenn das Schiff einen Hafen anlief, wurde sie in die Kajüte gesperrt, was sie gar nicht mochte. Als der Bootsmann sie in Bremen am Zoll vorbeischmuggeln wollte, wurde sie entdeckt und beschlagnahmt. Kurze Zeit später kam sie in den Zoo am Meer.
Beim Lesen dieser Geschichte habe ich förmlich das Bild von Jenny beim Putzen zwischen der Besatzung vor Augen. Solch ein Umgang mit Tieren ist für uns heutzutage unvorstellbar, damals war es nichts Ungewöhnliches.
Schimpansin Ituri
Nicht nur Jenny, auch Schimpansin Ituri, die ebenfalls 1983 in den Zoo kam, trägt ein tragisches Schicksal. Sie wurde illegal als Zwergschimpansin importiert und vom Frankfurter Zoll beschlagnahmt und in den Zoo am Meer abgegeben. Bei der Wilderei ist es häufig üblich, die Mütter zu erschießen, um an die Jungtiere zu kommen. So erging es scheinbar auch Ituri, da sie einen Hass auf Menschen hat, was sie immer wieder zeigt. Bis heute nutzt sie jede Gelegenheit, ihren Pfleger*innen „eins auszuwischen“. Mit einem Stock, den sie heimlich versteckt hält, „piesackt“ sie die Pfleger*innen blitzschnell durch das Gitter.
Chico mit seinen Eltern, Pitty und Konga
Jenny und Ituri kamen also 1983/1984 in den Zoo und trafen hier auf den in etwa gleichaltrigen Chico. Seine Eltern Pitty und Konga verließen den Zoo am Meer 1984 in Richtung Zoo Augsburg. Die kleine Familie, bestehend aus Chico, Jenny und Ituri, wurde erwachsen und der erste Nachwuchs stellte sich ein. Da der Platz in der alten Schimpansen-Anlage nicht ausreichend für noch mehr Tiere war, wurden Jungtiere, sobald sie alt genug waren, in andere Zoos abgegeben.
Der Neubau 2000
Ab dem Jahr 2001 wurde der Zoo komplett neu gebaut und ich überlege, warum man im Zuge des Neubaus die Schimpansen nicht abgegeben hat? Ich frage meine Chefin Heike, die mir erzählt, dass generell die Beziehung zwischen Pfleger*innen und Menschenaffen nach ca. 17 Jahren ganz besonders eng ist. Die Abgabe dieser Tiere wäre vergleichbar mit der Situation, in der man seinen Bruder oder seine Schwester abgeben würde. Die Traumata, die die beiden Weibchen Jenny und Ituri durchlebt haben, hätten sich bei einer Abgabe möglicherweise noch einmal verstärkt. So sei dann die Entscheidung gefallen, am Eingang der Zoos einen Bereich für die Schimpansen als Affen der „alten Welt/Afrika“ und am Ende des Zoo–Rundganges eine Anlage mit Krallenaffen, als Affen aus der „neuen Welt/Südamerika“ zu gestalten. Zooschulchefin Antje freut es, dass die Affen geblieben sind, da es zu den Themen „Evolution“ oder „Verhalten“ in der Zooschule sehr viele Aspekte zu bearbeiten gibt.
Seltene Unterart
Heike weiß noch mehr zu berichten: Eine genetische Analyse hätte gezeigt, dass Chico, Jenny und Ituri zu der besonders bedrohten Unterart der „Westafrikanischen Schimpansen“ gehören und eine Zucht besonders wünschenswert ist. In der Natur wechseln bei den Schimpansen die Weibchen die Gruppen, um Inzucht zu vermeiden. Daher hatte unsere Schimpansin Mahale den Zoo am Meer verlassen und zu uns kamen Lizzy und Donna aus dem Zoo Chester, England. Jetzt wäre es spannend zu beobachten, wie es mit der Gruppe weiterliefe.
Artenschutzprojekt WCF
Neben dem Gehege entdecke ich Flyer, die auf ein Projekt zu Unterstützung wildlebender Schimpansen hinweist: Hilfe für Schimpansen (Stiftung zum Schutz wildlebender Schimpansen (WCF – Wild Chimpanzee Foundation – Germany e.V.) (www.wildchimps.org). Die Stiftung WCF kümmert sich um eine Schimpansen-Gesellschaft im Tai Nationalpark an der Elfenbeinküste. Diese Tiere besitzen ein außergewöhnliches Verhaltensrepertoire und werden seit über 20 Jahren wissenschaftlich begleitet.
Ein Zoo mit seinen Bewohnern – und so vielen Geschichten! Gerade die schicksalhafte Vergangenheit von Jenny und Ituri berührt mich sehr. Umso dankbarer bin ich, dass wir ihnen hier im Zoo am Meer ein gutes Leben, ohne Angst und Hunger, ermöglichen können.
Liane Kuhlmeyer
Ich hätte gerne gewusst, ob mich mein Erinnerungsvermögen trügt oder nicht: Gab es in den 1960er, 1970er Jahren Schimpansen in den Tiergrotten, bzw. wann gab es dort Schimpansen? Für eine Antwort bedanke ich mich vorab. Viele Grüße, L. Kuhlmeyer
Nicole Tönjes
Vielen Dank für die spannende Frage. Wir werden in unseren Unterlagen recherchieren, ab wann Schimpansen in den Tiergrotten gehalten wurden.