Der sanierungsbedürftige Scharoun-Bau, das Gründungsgebäude des Deutschen Schifffahrtsmuseums, ist ein Architekturdenkmal der Extraklasse. Anlässlich des Tages des offenen Denkmals am Sonntag, den 8. September, gibt es die Gelegenheit das historische Gebäude während einer exklusiven Führung zu besichtigen. DSM-Mitarbeiterin Karolin Leitermann hat sich mit dem besonderen Reiz des Gebäudes auseinandergesetzt.
Ich stehe vorm Deich und blicke in Richtung Weser. Vor mir schieben sich die Schiffe im alten Hafen langsam auf und ab. Sie wanken sanft auf den kleinen Wellen durch den Wind. Es ist sonnig und ich wende den Blick Richtung Stadt. Ich sehe das große Bullauge. Es befindet sich aber nicht auf einem Schiff, sondern im Scharoun-Bau des Deutschen Schifffahrtsmuseums / Leibniz-Institut für Maritime Geschichte (DSM).
Durch meine Arbeit am DSM ist mir die Architektur Hans Scharouns immer vertrauter geworden. Vier Jahre lang pendele ich von Bremen nach Bremerhaven und erlebe jedes Mal aufs Neue die Faszination, die das organhafte Gebäude auf mich hat.
Das Museum besteht aus zwei sehr unterschiedlichen Gebäuden, eines entstand 1975 und eines im Jahr 2000. Die Architekten Hans Scharoun und Dietrich Bangert, die dafür verantwortlich zeichnen, sind im Stil deutlich voneinander zu unterscheiden. Während das ältere Gebäude in sich gefächert und von mehreren Ebenen durchdrungen wird, basiert das neuere Gebäude auf klaren, wiedererkennbaren geometrischen Grundformen. Wie bei magnetischen Polen ziehen sich Gegensätze eben an.
Verbindung zweier Architektur-Stile
Vor 25 Jahren beschrieb der Architekt Ulrich Höhns die Erweiterung des Museums als „architektonische Bewältigung eines Anbaus an ein Denkmal von Relevanz“.
Dietrich Bangert wird zugesprochen sich auf die ursprüngliche Idee Hans Scharouns bezogen zu haben. Denn in seinem eigenen Stil greift auch er die Beziehung zwischen Innen- und Außenraum anhand großer Fensterfronten auf. Entstanden ist ein postmoderner Bau mit der Wirkung einer Kathedrale. Die lichtdurchfluteten Decken und Seitenbereiche kommen in der zeitgemäßen Inszenierung der neuen Dauerausstellung sogar noch besser zur Geltung.
Der inhaltliche Fokus des DSM setzt sich in der Architektur des Forschungsmuseums fort. Der Blick ist nach vorne und auf die Zukunft der Forschungsschifffahrt gerichtet. Die Gestaltung der Ausstellungsarchitektur verzichtet auf die romantisierende Variante einer Anhäufung alter Schiffe, sie wird selbst zum Schiff. Dies könnte auch als Reminiszenz an die Begeisterung Scharouns für Schiffe gelesen werden.
Bauliche Vorschriften verändern sich im Laufe der Zeit und diese den Ort
Hat man im Juli 2024 erfolgreich eine Baustelle abgeschlossen und die gelungene Umsetzung der Ausstellungs-Architekten und vieler anderer Beteiligter im frisch sanierten Bangert-Bau eröffnet, so wartet nun schon die nächste Aufgabe. Für das DSM gilt es, weitere Gelder für die Sanierung des Scharoun-Baus einzuwerben, ihn denkmalschutzgerecht instand zu setzen und dort eine Ausstellung zu etablieren, die die maritim geprägte Architektur Scharouns gemäß den Anforderungen des Denkmalschutzes erhält und die dortigen Ausstellungsthemen zeitgemäß inszeniert.
Die theoretischen Ideengeber für den ursprünglichen Baustil
Hans Scharoun schätzte die Überlegungen seines Zeitgenossen und Kollegen Hugo Häring. Dessen Theorie vom organischen Bauen umfasste alles von der Gestaltung von Gebrauchsgegenständen bis hin zur Gesellschaftsform. Der Kulturwissenschaftler und Philosoph Jean Gebser bezeichnete 1949 Architektur als eine soziologische Kunst par excellence. Scharoun ließ sich von diesen Ideen inspirieren. Seine organhafte Architektur entwickelt sich von innen nach außen und misst der Bewegung des Menschen im Raum eine besondere Bedeutung bei, denn der asymetrische Baustil mit seinen Verwinklungen bietet immer wieder neue, unerwartete Sichtachsen, mal auf die Museumsschiffe im Alten Hafen, mal auf die modernen Schiffe, die auf der Außenweser unterwegs sind. Ideal für ein Museum, das den Anspruch hat, historische Themen so zu erzählen, dass der Bezug zu Gegenwart und Zukunft klar ist.
Scharouns Vorliebe, Räume farbig zu gestalten, um bestimmte Stimmungen zu erzeugen, basierte wiederum auf dem humanistischen Gedanken, gute Orte für die Menschen zu schaffen, an denen sie sich gerne aufhalten. In der berühmten Rede seines Mitstreiters und Freundes Adolf Arndt heißt es nach dem Zweiten Weltkrieg: „Eine Demokratie ist nur so viel wert, wie sich ihre Menschen wert sind, dass ihnen ihr öffentliches Bauen wert ist.“ Bauen als politische Angelegenheit zu sehen und den hohen Aufenthaltswert öffentlicher Gebäude als zentrales demokratisches Anliegen zu begreifen – diese Ideen verbanden Häring und Scharoun.
Die Umsetzung von Theorie in der Praxis des Bauens
Wirken Scharouns frühe Aquarelle noch wie abstrakte Phantasien, so sind seine Gebäude als gebaute Statements zu sehen. In seinem Vortrag von 1963 zieht er selbst Bilanz und sieht eine Verbindung zwischen Vielfalt des Vorstellungsvermögens und gebauter Architektur der Zeit.
Sein Engagement in der Künstlergruppe Gläserne Kette mag zunächst der freundlichen Einladung ihres Gründers Bruno Taut gefolgt sein. Ab 1922 bilden Scharouns Aquarellentwürfe deutlich das Thema des organischen Bauens ab, das ab 1934 prägend für sein Werk wurde. Erst im Spätwerk werden zunehmend neben der Umgebung auch die Herausforderungen des Bauens berücksichtigt. Eine Auffassung ähnlich dem Begriff des Gesamtkunstwerkes von Walter Gropius, der 1919 in der Gleichstellung von Kunst und Handwerk die Voraussetzungen zur Gründung des Bauhaus in Weimar sah.
Anders als Le Corbusier, der weltberühmte Vertreter des Neuen Bauens, verlor sich Scharoun nie in heute diktatorisch anmutenden Städteutopien der gleichförmigen Reihenbesiedlung in möglichst umfassender Flächenerschließung. Er blieb immer der konkreten Entwurfspraxis treu, die sich auf die Bedürfnisse der Menschen und die Gegebenheiten vor Ort bezog. Wahrscheinlich stehen seine Bauten deshalb so zeitlos an ihren Orten als wären sie schon immer da gewesen. Zumindest sind sie heute nicht mehr von dort wegzudenken.
Die geplante Dauerausstellung würdigt das Erbe Hans Scharouns
Die Eröffnung des Deutschen Schifffahrtsmuseums im Jahr 1975 erlebte Hans Scharoun nicht mehr. Er starb bereits 1972. Was bis heute bleibt, ist seine charakteristische Architektur, die mit ihren Bullaugen-Fenstern, Relingen oder der wellenförmigen Ecke im Vortragssaal selbst vielfältige Bezüge zur Schifffahrt aufweist. Für Architekt:innen und Ausstellungsgestalter:innen ist diese Architektur Verpflichtung und Herausforderung zugleich, müssen hierbei doch Denkmalschutz, Brandschutz und zeitgemäße Ausstellungsgestaltung zusammengedacht werden. Nicht zuletzt gilt es, besonders lichtempfindliche Objekte vor dem Einfall des Tageslichts zu schützen. Dass dieses Gebäude jedoch alle Mühen wert ist, das wird schnell klar, wenn man es einmal betreten hat. Denn Scharouns menschenfreundliche Architektur, die nicht einschüchtern, sondern überraschen und zum Entdecken einladen will – diese Architektur ist im besten Sinne des Wirtes zeitlos.
Öffentliche Führung anlässlich zum Tag des offenen Denkmals
Architekt und Gutachter Wilke-Bernd Wiedenroth führt anlässlich zum Tag des offenen Denkmals am Sonntag, 8. September 2024 um 11 Uhr durch den derzeit geschlossenen Scharoun-Bau und erläutert seine Sicht auf die notwendigen Umbauten. Der Eintritt ist frei. Eine Anmeldung unter 0471 / 48207-844 oder besucherservice@dsm.museum ist erforderlich. Bereits 2020 hat sich Wilke-Bernd Wiedenroth für ein Podcast-Gespräch zur Verfügung gestellt und die Lage des Gebäudes aus historischer Perspektive kommentiert. Dieser und andere Beiträge sind auf der Internetseite des DSM unter www.dsm.museum/scharoun zu finden. Dort ist auch ein Booklet mit Entwürfen für eine neue Dauerausstellung im Scharoun-Bau verlinkt.
Weitere Informationen zur Architektur des Deutschen Schifffahrtsmuseum: https://www.dsm.museum/leitbild/architektur/
Dieser Beitrag erscheint in Anlehnung an einen Artikel aus „Deutsche Schifffahrt“, verfasst von: Karolin Leitermann (DSM)
Schreibe einen Kommentar