Es gibt Zeitgenossen, die versuchen durch ihr Äußeres von ihrem Innenleben abzulenken. Manchmal sogar, etwas zu zeigen, was gar nicht da ist. Selten offenbaren Menschen wirklich, wie es in ihnen aussieht, so meine Erfahrung. Doch genau dies – das Innere nach Außen bringen – machen drei Bremerhavener Institutionen zum Thema, über die ich euch heute berichten möchte. Wir gehen dafür zum Schifffahrtsmuseum und stellen uns auch vor die Kunsthalle. Doch zuerst statten wir der Kulturkirche einen Besuch ab.
Kulturkirche Pauluskirche: Innenleben in den Fenstern

Was kann man den Menschen in einem drohenden nächsten Lockdown anbieten, war die Ausgangsfrage einer Aktion, die gerade an der Fassade des Kirchbaues zu sehen ist. Vor dieser Herausforderung standen im Herbst letzten Jahres die Künstlerin Silke Mohrhoff, die Pastorin und Leiterin der Kulturkirche Andrea Schridde und Christiane Johannsen, Mitarbeiterin der Kulturkirche für die Bereiche Marketing und Öffentlichkeitsarbeit. Die drei wollten für die Kulturkirche ein neues Projekt entwickeln, doch die Lage war schwierig: Es war die Zeit, in der bei Vielen die Emotionen hochkochten und die Nerven nach dem schon monatelangen andauernden Corona-Leben blank lagen.
Es wurde viel über Zustände gesprochen, aber nicht über Gefühle.
Silke Mohrhoff
Am Ende ihrer Überlegungen stand das Wort. Ganze 250 Zeichen (mit Leerzeichen!) sollten Texter*innen zur Verfügung stehen, um ihren Seelenzustand in diesen Zeiten zu beschreiben. Dass die Macherinnen damit den Nerv der Zeit getroffen hatten, zeigt die Resonanz: Auf ihre Ausschreibung kamen 600 Einsendungen aus ganz Deutschland, aus Rom, Paris, Polen, Ungarn und sogar aus China nach Bremerhaven.
Jeder (!) Text wurde von der Jury gesichtet. Man einigte sich auf 13, die einen breiten Themenraum beschreiben und auch unterschiedliche Menschen ansprechen. Manche der Texte erschließen sich schnell, für andere braucht man einen breiteren Kontext.

Die Werke zogen am 14. Februar an die Kirche. Symbolischerweise an die Fenster – ihr kennt das mit den Fenstern und der Seele? Noch bis zum 14. März sind die Kurztexte zu sehen. Für jedermensch lesbar zeigen die Autor*innen dort ihr „Innenleben“ – so auch der Titel der Kunstaktion. Eine Kostprobe gefällig?
Weiße Wolken
Fenstergucken
Regenbögen
Freie Zeit.
Sommerurlaub
Mal zu Hause
Fahrradtouren
Sehr viel Zeit.
Herbststurmwolken
Die Tapete
Zahlen checken
Zu viel Zeit.
Weihnachten
Mit Oma zoomen
Netflix gucken
Einsamkeit.
Diese Worte von Yvonne Struck beschreiben „schnörkellos“, wie die Kuratorin Silke Mohrhoff sagt, das echte Leben – hier die „Kontaktbeschränkung“ und ihre Auswirkungen – in seiner ganzen Banalität und Komik. Auch die anderen sind absolut lesenswert, ein Spaziergang rund um die Kirche lohnt sich.
(c) Kai Martin Ulrich
Die ein oder andere Autor*in hat es übrigens Überwindung gekostet, die eigene Emotionalität im öffentlichen Raum zu wissen, sagt Silke Mohrhoff. Es macht eben doch einen Unterschied, ob ein Buchdeckel sich schützend über Worte legt oder ein Plakat sie aller Welt sichtbar macht.
Deutsches Schifffahrtsmuseum: Wandel am Museumsbau
Ein echter Hingucker ist seit 2016 ein Aufkleber auf den Scheiben des Deutschen Schifffahrtsmuseums (DSM). „Wandel“ prangt da in drei Metern großen weißen Lettern auf dem Bangert-Bau und die zeigen schon von Weitem: Hier tut sich was. Blogger-Kollege Helmut Stapel hatte seinerseit in seinem Beitrag über die Umbaumaßnahmen geschrieben, doch ich möchte mehr wissen über die Aufschrift und spreche mit Prof. Dr. Sunhild Kleingärtner darüber. Die Direktorin des DSM bestätigt, dass der Schriftzug mit dem Umbau und der damit einhergehenden Neuausrichtung des Hauses zu tun hat – doch es steckt noch viel mehr hinter den klaren, serifenlosen Großbuchstaben.
Sie führt aus, dass der Begriff nicht nur eine Selbstaussage ist, er dient auch als Gedankenanregung für alle, die ihn lesen. Denn nicht nur das Museum macht gerade eine Wandlung durch, auch das mit ihm eng verwebte Thema Schifffahrt ist im Wandel, sagt sie.
Vielen ist gar nicht bewusst, welche Bedeutung das Meer für uns alle hat
Prof. Dr. Sunhild Kleingärtner
Um diesem Nicht-Wissen entgegenzuwirken, wird sich das Museum künftig noch mehr dem Zusammenspiel von Mensch und Meer widmen, diese wechselvolle Beziehung intensiver erforschen und in Ausstellungen erlebbar machen. Auch auf diesen Anspruch soll der Begriff WANDEL hinweisen.
Aber er will noch mehr. Denn Wandel betrifft uns alle, Stichwort Klimawandel. Bei dem Thema geht auch sicher bei euch ein ganzer Katalog von Veränderungsmerkmalen auf. Mit einigen Aktionen wirdmet sich auch das DSM dem Thema, zum Beispiel in der beeindruckenden Ausstellung „Screening Northern Light„, in der ebenfalls der Bangert-Bau Inszenierungsort war und über den Bloggerkollegin Mareike hier im Logbuch geschrieben hat.

Die Wahl des Wortes ist übrigens das Ergebnis des Teamworks im Museum. Bewusst hat man sich für Wandel entschieden und nicht für Veränderung. Der Blick in den Duden zeigt, in welcher Zeit sich das DSM gerade sieht. So steht Veränderung eher für „[Ab]änderung, Abwandlung, Korrektur, Revision“ während Wandel durch die Synonyme „Erneuerung, Neuerung bzw. Umbruch“ ersetzt werden kann. Klar wird: Ist der Wandel im Schifffahrtsmuseum vollzogen, verschwindet auch der Schriftzug.
Kunstmuseum Bremerhaven: Drin ist, was dran steht
Auf Dauer angelegt ist dagegen die Beklebung, die seit der Eröffnung des Kunstmuseums (das war 2007) ins Auge fällt. „Kunst. Mehr nicht.“ steht dort in fetten roten Lettern und bringt mich immer wieder neu zum Schmunzeln. Was sollte auch sonst in einem Kunstmuseum sein, denke ich und frage den Leiter des Bremerhavener Kunstvereins, Dr. Kai Kähler, nach den Hintergründen. Im Gespräch zeigt sich, dass der Aufkleber natürlich Teil einer Inszenierung ist, für die das Haus steht. Aber zurück zum Anfang.

Weil das neue Kunstmuseum eng mit der schräg gegenüberliegenden Kunsthalle verbunden ist und deren Äußeres das Wort „Kunsthalle“ in riesigen Blechbuchstaben ziert, wollten die Verantwortlichen des Museums ebenso verfahren. Doch dafür war weder Platz noch Geld, erfahre ich. Also musste eine pfiffige Idee her – Dr. Kai Kähler, damals schon im Leitungsteam des Kunstvereins, bevorzugte Klebebuchstaben. „Wir schreiben einfach drauf, was drin ist“, war zudem sein Vorschlag. Die Ergänzung um „mehr nicht“ geht auf Jürgen Wesseler zurück, den langjährigen Kopf des Kunstvereins. Damit war das öffentliche Statement gesetzt, das den Ideen der Konzeptkunst folgt.
Kunst ist nicht gleichbedeutend mit schön, daher durften die Buchstaben auch nicht niedlich sein
Dr. Kai Kähler
Knallrot, riesengroß, schnörkellos – man sollte meinen, das dieser Hingucker neugierig macht. Doch erstaunlicherweise ist er nach Beobachtung von Dr. Kai Kähler Vielen wohl zu groß, um gelesen zu werden. So funktioniert das Ziel, durch den Schriftzug zum Nachdenken anzuregen, für Irritation zu sorgen, Interesse hervorzurufen, eventuell nur bedingt. Das Kunstmuseum kann jedenfalls – wenn es denn wieder geöffnet wird, mehr Besucher vertragen.
In der Tat ist nur drin, was dransteht: Kunstwerke. Auf drei Stockwerken mit über 700 Quadratmeter Ausstellungsfläche zeigt das Haus in wechselnder Zusammenstellung eine Auswahl von Werken aus der über 100-jährigen Sammlungsgeschichte des Kunstvereins Bremerhavens. Und darunter sind wahre Schätze, wie diese Rückblicke auf vergangene Ausstellungen ziegen. Übrigens: Es gibt in Deutschland nur drei Kunstvereine, die eine eigene Kunstsammlung besitzen – und unserer ist einer davon!
Schreibe einen Kommentar