Zu Beginn 2020 sucht das Stadttheater Bremerhaven eine Vertretung in der Leitung Marketing- und Öffentlichkeitsarbeit. Ich bin freiberufliche Fernsehjournalistin und eine neue berufliche Herausforderung kommt mir gerade recht. Beworben – genommen. Also trete ich am 1. April – kein Scherz – die Stelle an.
Curriculum Vitae im Staccato-Style
- Abitur am Lloyd Gymnasium Bremerhaven
- Studium Brasilianistik, Romanistik und Soziologie
- Redaktions-Volontariat
- freie Fernseh-Journalistin in den Bereichen Kultur, Politik, Unterhaltung
- Dozentin für Übersetzung Portugiesisch-Deutsch an der Universität
- Inhaberin und Betreiberin eines Cafés
- Pressereferentin am Düsseldorfer Landtag
Lieber pink statt rot? Egal – Hauptsache Faden
Jahrelang denke ich, es zieht sich kein roter Faden durch mein berufliches Leben. Die Tools, die mir vor die Füße fallen, sammele ich auf und stecke sie in meinen Rucksack. Aber auch das hat System. Und ich erkenne genau jetzt, als Leiterin Marketing- und Öffentlichkeitsarbeit, deutlich den pinken Faden meines CVs.
Stranger Things in real life
Bremerhaven hat viele liebenswerte Besonderheiten. So ist die Stadt viel länger als breit. 1979 lebe ich sozusagen am Nordpol der Stadt. Das Fahrrad, nicht das „Eltern-Taxi“, ist mein Fortbewegungsmittel. Für alle Netflix Stranger Things Liebhaber*innen: Genau so sah meine Kindheit aus. Drei Kilometer zu den Freund*innen radeln? Easy. Acht bis in die Innenstadt? Nö. Das kommt ja einer Reise vom Nord- zum Südpol gleich. Und ich stamme nicht von Amundsen ab. Soweit ich weiß.
Das Stadttheater am anderen Rande meiner Welt
Mit elf Jahren erfahre ich, dass am Südpol Bremerhavens ein Stadttheater steht. Erradelt hatte ich mir diese Information nicht. Ich bekomme sie von meiner damaligen Deutschlehrerin. Sie nimmt mit uns 1979 in ihrem Unterricht das Fach „Theater“ durch. Ein Herr vom Stadttheater (war der cooohoool) meistert locker die acht Kilometer (bestimmt in seinem orangenem Käfer Baujahr 74) zu uns in die Schule. Wir lernen, wie ein Theaterstück entsteht. Und entwickeln unser eigenes. Monatelang üben wir uns im Storytelling und proben unsere Rollen in der Schul-Aula.
Recherche an der Theater-Quelle
Wie kommt unsere Deutschlehrerin auf das Fach „Theater“? Ich will es genauer wissen und steige unters Dach. Dort gibt es ein kleines Archiv. Als ich den Raum betrete, fühle ich mich wie auf Schloss Hogwarts. Feine Staubpartikel tanzen im Gegenlicht, es riecht wie in einer Antiquariats-Buchhandlung. Das Mobiliar besteht aus Regalreihen voller Kartons gefüllt mit Orchesternoten. Ein Regal beherbergt sämtliche Programmhefte ab 1959. Ich ziehe aus dem Karton mit der schwarzen 1979 ein Heftchen mit der Aufschrift „Theater ist anders.“ heraus.
Theater und Schulen – 50 Jahre kreativer Austausch
Versunken blättere ich es durch und plötzlich geht mir im Gegenlicht ein Spot auf: Der coole Theater-Typ war Dramaturg am Stadttheater! Und unsere Deutschlehrerin hat das Angebot der Theaterpädagogik des Stadttheaters genutzt. Kein Wunder, dass wir es mit Geheimnis am Waldrand in die Nordsee-Zeitung schaffen. Damals denke ich im Traum nicht daran, dass ich jetzt genau das mache: im Marketing die Presse über sämtliche Aktivitäten des Stadttheaters informieren.
Wir sind vier und zusammen eins
Im Marketing-Büro des Theaters sind wir zu viert. Zum einen sind da „meine“ wunderbaren und kompetenten Referentinnen Julia und Larissa. Zum anderen ist da Emely, unsere diesjährige FSJlerin. Die Teamzahl ist gleich zu meiner vorherigen Tätigkeit beim Fernsehen – Kameramann/frau, Tonassistent*in, Cutter*in und ich. Beste Voraussetzung, denn ich bin teamworkaholic.
Kennenlernen von Mädels & Marketing durch Rituale
Ich überlege mir eine Art Speed-Dating, um die drei Marketing-Mädels (MMs) schneller kennenzulernen. Und sie mich. #ritual 1: Montagmorgen schreibt im wöchentlichen Wechsel eine von uns ein Zitat ans Whiteboard. #ritual 2: Einmal die Woche essen wir gemeinsam zu Mittag. Alle Gesprächsthemen sind erlaubt, außer Arbeit. #ritual 3: Freitagsnachmittags ist Kreativ-Runde. Erst besprechen wir das Zitat, dann entwickeln wir Ideen. Wie gestalten wir unseren digitalen Adventskalender? Wie soll der Flyer für das Geschenk-Abo oder das Robin Hood Programmheft aussehen?
Nine-to-five-Job im Marketing? Ein klares Jein!
Kernarbeitszeit im Marketing des Stadttheaters ist von Montag bis Freitag zwischen 9 und 17 Uhr. Kurz vor Premieren wird eine von uns zu Aschenbrödel. Dann fällt eine Spätschicht an, in der das Programmheft gestaltet und gesetzt wird, damit es rechtzeitig zur Druckerei kommt.
Für alle Kolleg*innen der Leitungsebene gibt es den Direktionsdienst, der abwechselnd bei allen Vorstellungen des Stadttheaters übernommen werden muss. Der/die Direktionsdienstler*in ist während der Vorstellung Ansprechpartner*in für Publikum und Kolleg*innen und repräsentiert das Stadttheater Bremerhaven.
Meine Aufgabe inhäusig ist der Informations-Austausch mit den einzelnen Abteilungen und Sparten (was steht in den kommenden Monaten auf dem Spielplan und wie können wir dafür werben?). Meine Aufgaben innerhalb unserer vier schrägen Bürowände: Zunächst wie ein Adler in zehn Metern Höhe den Überblick behalten. Dann alle anfallenden Aufgaben organisieren, delegieren oder selbst erledigen. Zwei Dinge gibt es reichlich in unserem Büro: Teebeutel und Aufgaben.
Die unendlichen Weiten des Marketings
Marketing – ein Wort mit viel Interpretationsspielraum. Daher mutiert unser Büro täglich. Jede von uns hat ihr Kernressort. Ich hingegen muss in allen Bereichen einen Schimmer haben, um gegebenenfalls für einen reibungslosen Ablauf einspringen zu können. Hier die Marketing-Büro-Mutationen im Überblick: Pressebüro (Pressegespräche organisieren, Pressemitteilungen verfassen, Fotos machen und auswählen, Terminredaktion bestücken, Pressespiegel erstellen), Werbe- und Grafikagentur (Anzeigen, Flyer, Monats-Leporellos, Programmhefte, Aushänge druckfertig entwickeln, gestalten, setzen und verteilen), Online-Redaktion (Website und Social-Media-Kanäle täglich bestücken und aktualisieren, Kampagnen überlegen, Newsletter verfassen), Poststelle (monatliche Verschickung von Informationsmaterial und Leporellos vorbereiten). In Zeiten von Digitalisierung und Pandemie gehen wir nun auch kleine Schritte in Richtung Produktionsfirma. Andere Aufgaben mit direktem Publikumskontakt wie die von uns geleiteten Theaterführungen hinter die Kulissen fallen dafür aktuell leider weg.
Die wichtigste Marketing-Kompetenz zum Schluss
Kondition. Kondition. Und nochmals Kondition. Denn das gesamte Haus besteht aus – gefühlt Gotteszahl – Treppen. Große, kleine, schmale, breite. Der Weg ins Marketing-Büro führt nach oben, aber über ein – genau! – steiles Exemplar. Bin ich im Stadttheater, fühle ich mich oft wie 1998 in Venedig. Treppchen rauf, Treppchen runter…
Theater – ganz mein Film
Als ich als Stadttheater Marketing Leiterin beginne, habe ich wenig Ahnung vom Theater-Alltag. Was muss ich wann mit wem organisieren und welche Deadlines sind zu beachten? Diese Fragen sind im ersten Lockdown aber auch irrelevant. Die einzige Frage ist: Wie kommuniziert das Theater – auf Abstand – mit seinem Publikum? Antwort: digital. Bingo, denke ich, digital kann ich. Wir nehmen das 4. Kammerkonzert auf und entwickeln Formate wie beschnackt. Denn vor dem Vorhang ist spannend, aber was und wer hinter dem Vorhang steckt, ist genauso spannend. Das alljährliche Familienstück zur Weihnachtszeit Robin Hood hat zum ersten Mal in seiner Geschichte Online-Premiere. Auch auf das traditionelle Adventskonzert braucht das Publikum nicht zu verzichten. Es wird als Gesangsquartett ab dem 4. Advent auf Website und YouTube Kanal des Stadttheaters zu sehen und hören sein.
Der Rucksack ist gefüllt – pinker Faden steckt im Seitenfach
Zu Beginn prasselten die neuen Aufgaben des Stadttheater Marketings wie aus einer riesigen Regendusche kalt bis lauwarm auf mich nieder. Und ich bin Heißduscherin! Some – aka me – like it hot! Mein Rucksack war gefüllt, aber ein paar spezielle Marketing-Theater-Tools fehlten. Die nun peut à peut in meinen Rucksack wandern. Dank „meiner“ Marketing-Mädels Julia und Larissa. Mit schier unendlicher Geduld erklären sie mir meine neuen Theater- Werkzeuge. Outdoorladen-Verkäufer*innen können sich bei den beiden noch ne ordentliche Scheibe abschneiden. Ich lerne viel über das Theater im Allgemeinen und das Stadttheater Marketing im Detail. Für die verbleibenden Monate wünsche ich mir nun von Herzen „Vorhang auf“! Damit wir vier in dieser Spielzeit 2020/2021 noch ein paar Premieren in gewohnter Stadttheater-Marketing-Manier bewerben können.
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