Das Meeresmuseum Stralsund steht vor einer Rundumsanierung – wo sonst Gäste Fischen hinterhersehen, rücken nun Bagger in Richtung Aquarien. Während der Umbauphase ziehen die Exponate aus – einige von ihnen finden bei uns im Museum einen neuen Platz. Ich besuchte die Ostseestadt und warf einen letzten Blick in die Kisten mit den Leihexponaten, bevor sie ins Deutsche Schifffahrtsmuseum verladen wurden.
Endstation Stralsund: Die Ostseestadt geizt nicht mit Wasser und einem stattlichen Kirchturmreigen. Gästen stellt sie bei der Namensnennung eine Falle: Bei Betonung der letzten Silbe „sund“ schnappt sie zu. „Tourist“ lautet das gnadenlose Urteil. Aus den Mündern der Einheimischen klingt der Name nach mehr „aaahhhh“. Wer die langgezogene Variante Straaalsund wählt, hat die Herzen der Hanseaten sofort erobert. Diese Lektion lernte ich bereits beim letzten Besuch. Mit der richtigen Betonung auf den Lippen fühle ich mich heimelig und umschreite einen See vor den Toren der Altstadt. Mein Ziel: Das Meeresmuseum Stralsund, aus dem das DSM diverse Leihgaben erhält.
Museum in malerischer Kulisse
Der hanseatische Backsteingiebel reckt sich genüsslich der Wintersonne entgegen. Im Inneren leisten Bauarbeiter ihren Beitrag zur Wellnessbehandlung und verpassen dem gotischen Ensemble aus dem 13. Jahrhundert eine Frischzellenkur: Sägen kreischen, Hämmer klopfen und Bagger schaufeln. In den nächsten Jahren zieht eine neue barrierefreie Ausstellung ein.
Über den grünen Linoleumboden vom Meeresmuseum rannte ich schon als Kind und bestaunte ehrfürchtig Walross, Eisbär und Robbe. Als „besonders“ speicherte ich das Ambiente ab: Ein Korallenriff und ein Walskelett im Kirchenschiff? Wo gibt es das sonst? Das alte Klostergemäuer hat nicht an Charme eingebüßt.
Doch etwas fehlt. Das gefühlte Meeresrauschen im Kirchenschiff ist weg. Verstummt ist die Kindermusik, versiegt die Besucherströme. Die Leere macht Platz für eine andere Betriebsamkeit: Mitarbeiter tragen Arbeitsschuhe und Zimmermannshose, messen mit Zollstöcken und rumoren mit den Bauarbeitern.
Museum im Wandel: nicht nur in Bremerhaven
Hektisches Treiben in allen Räumen – gähnende Leere in den Vitrinen. Neben einem einsamen Eisbären halten noch der Riesenkrake, das Korallenriff und das Finnwalskelett die Stellung. Als gute Geister sind sie fest mit dem Haus verankert – die kriegt keiner raus. Sie werden auch nach dem Umbau die alten Bekannten der Ausstellung bleiben. „Mit dem Finnwal, der 1827 vor Hiddensee strandete, beginnt die deutsche Walforschung. Der Grundstein liegt hier bei uns“, erzählt mir Andreas Tanschus, einer der beiden Museums-Direktoren.
Tanschus versteht es, den Präparaten Leben einzuhauchen. Seit mehr als 30 Jahren ist er am Haus und er kennt die Geheimnisse der Exponate. Er erzählt von Marlene, die in Stralsund jedes Kind kennt. Die Riesenschildkröte ging Ostseefischern 1965 als Irrschwimmer ins Netz. Ihre Fangemeinde blieb ihr über den Tod hinaus treu und besuchte sie regelmäßig. Das 200 Kilogramm schwere Panzertier gab in den 70er-Jahren die Initialzündung für die Gründung des Meeresmuseums. Ähnlich wie es die Kogge für das DSM tat. Noch im Sommer 2020 spazierte ich durch Stralsund und sah Marlene von Bannern goodbye winken. „Besuch mich nochmal“, lockte sie. Ich bin zu spät. Marlene ist längst weg. Braunschweig heißt ihr neues Zuhause auf Zeit.
Exponate gehen auf Reise
Gerade rechtzeitig bin ich noch, um zu sehen, wie die letzten Exponate in Boxen verschwinden, die im Anschluss nach Bremerhaven reisen. Das DSM freut sich über Schiffsmodelle, Messinstrumente und Tierexponate, die als Leihgaben Teil der neuen Interimsausstellung sein werden. Ab Ende Mai können die Bremerhavener*innen die Stralsunder Gäste im Erweiterungsbau willkommen heißen.
Die Belugawal-Mutter mit Kalb und der Narwal gehen mit. Uwe Beese, Chefpräparator und mit 44 Jahren dienstältester Mitarbeiter im Meeresmuseum, schaut etwas wehmütig zwischen seinen Schützlingen hin und her. Natürlich freue er sich, dass die Gruppe ein neues Heim bekomme. „Sie bestechen durch Präzision und hohes Niveau. Theaterplastiker aus Dresden haben sie gefertigt. Wir waren extra zusammen in Valencia, um echte Tiere im Vorfeld anzuschauen“, erzählt Beese. Von den Augen über die Färbung bis hin zur winzigen Hautfalte wirken die Säuger erstaunlich echt.
Das Wiedersehen mit dem Riesenkraken jagt mir kurz einen Schauer über den Rücken. Das tentakelnde achtarmige Monster saugte sich wie einer seiner Armnäpfe in meinem Kinderkopf fest. Als Präparator war Beese dicht am Objekt dran: „1000 Saugnäpfe hat er an den Armen, das weiß ich noch.“ Aber er gibt mir recht: „Dem will ich in freier Natur nicht begegnen.“
Von der Ostsee ins Museum an der Nordsee
Beeses Meisterwerk aus den 80er Jahren bleibt sesshaft. Andere schaurige Geschöpfe schaffen es auf die Leihliste. Aus der Tiefsee-Abteilung dringt Stimmengewirr. Das Tiefsee-Anglerfischweibchen sinkt gerade sanft in das Styropormeer einer Box und schwimmt bald in Nordsee-Gefilden. Sein Partner hockt noch im schummerigen Schwarzlicht und wird abgeschraubt. „Wie, die beiden sind ein Paar?“, entfährt es mir. Das Männchen ist dreimal kleiner, von der für die Spezies typischen Angel ist nichts zu erkennen. „Und was für ein Paar“, Chefpräparator Beese bringt Licht in meine dunkle Wissenslücke. „Wenn die beiden zueinander gefunden haben, bleiben sie ein Leben lang verbunden. Das Männchen verwächst mit dem Weibchen.“
All das passiert in tiefer Dunkelheit, mehrere tausend Meter tief unten im Ozean. Klingt unheimlich, die Namen übrigens auch. Was erwartete man von einer Spezies namens Höllen-Vampir? Nichts Gutes. Der Tintenfisch lauert in eintausend Metern Tiefe und speit Wolken aus Leuchttinte. Er und weitere Tiefseefischpräparate, die lange zu den Stammbewohnern des Meeresmuseums gehörten, verlassen die Ostseestadt in Richtung Bremerhaven. Ich bin gespannt, wie die DSM-Gäste auf das beeindruckend feuerrote Tier mit den Schwimmhäuten zwischen den Armen – immerhin reisekoffergroß – reagieren. Und zack, da ist sie wieder – die Gänsehaut.
Schiffsmodelle, Messinstrumente, Präparate
Zurück an „Land“ streune ich durchs Kirchenschiff, wo im ersten Stock die Forschungsschiffsmodelle der SONNE, der METEOR, der PROFESSOR ALBRECHT PENCK und der CALYPSO hinter Glas ankern. Auch sie gehören zu den Leihgaben. Die CALYPSO nutzte Ozeanografie-Forscher Jacques-Yves Cousteau als schwimmendes Labor für seine Experimente an Bord. Versonnen betrachte ich ein Foto von Cousteau. Die Abenteuer des französischen Meeresforschers sind mir ein Begriff, genau wie sein Markenzeichen, die rote Wollmütze. Ich kann mir die Modelle wunderbar als Ergänzung für unser Museum vorstellen, wo sich dann lückenlos die Geschichte der Forschungsschifffahrt erzählen lässt.
Neben den Schiffsmodellen wandern historische Messinstrumente in Kisten: Das Messing von Kastengreifer, Wasserschöpfer und Thermometer ist blank geputzt und top gepflegt, wie es bei Gegenständen im Ruhestand üblich ist. Die Werkzeuge werden im Schifffahrtsmuseum veranschaulichen, wie Meeresforschung in den 30er Jahren ablief.
Ein Akkuschrauber quietscht in der Tiefsee auf. Die Teams aus Bremerhaven und Stralsund orakeln, ob sich die gesamten Dioramen abbauen und verpacken lassen. Die Möbelpacker stehen quasi in den Startlöchern, vorher muss ein Tischler Kisten für besonders fragile Exponate bauen.
Auf geht’s nach Bremerhaven
Weder glotzen tellergroße Augen noch greifen meterlange Armen um sich – die Tiefsee ist leer. Das Anglerfischpärchen ist wieder vereint und hockt im Dunkeln. Die Präparate sind verstaut. Ich bin gespannt, wie unsere Gäste auf Wale, Tiefseefische, Schiffe und Co. reagieren. Mit dem DSM-Team haben sie bereits drei Fans direkt im Meeresmuseum gefunden – und einen Stralsunder. „Ich freue mich, wenn die Exponate bald in Bremerhaven von Publikum bestaunt werden. Und meine Wale besuche ich mit Sicherheit“, kündigt Chefpräparator Beese an.
Autorin: Annica Müllenberg | Mehr vom Museum
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