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Andreas Schmitten in der Kunsthalle

Noch immer glauben die meisten Museumsleiter, dass sich die Besucher vor allem für das interessieren, was sie schon kennen: für große Werke großer Künstler. Viele […]

Eine Frau hält sich ihren Rollkragen vor das halbe Gesicht und blickt in die Kamera.
11. Juli 2019
4 min Lesezeit
3 Plexiglasvitrinen in der Kunsthalle Bremerhaven von Andreas Schmitten. (c) Kim Rothe

Noch immer glauben die meisten Museumsleiter, dass sich die Besucher vor allem für das interessieren, was sie schon kennen: für große Werke großer Künstler. Viele meinen auch, dass figurative Kunstwerke beliebter seien als abstrakte. Aber das stimmt nicht. Nicht immer. Die Kunsthalle Bremerhaven präsentiert noch bis zum 25. August 2019 die Ausstellung des Bildhauers und Konzeptkünstlers Andreas Schmitten „Stehend im Raum“. Eine Ausstellung der ruhigen und besonderen Art.

Ich bin ehrlich. Ich hatte keine Ahnung, wer Andreas Schmitten ist und was er für „Kunst“ produziert. Vor meinem Ausstellungsbesuch hatte ich auch keinerlei Anstrengungen unternommen diesen Umstand zu ändern. Tatsächlich bin ich komplett unvoreingenommen in die Kunsthalle gegangen und ließ mich einfach überraschen.

Kunst und Menschen

Als ich die Ausstellungsfläche betrat und die Kunstobjekte zum ersten Mal sah, musste ich unwillkürlich an einen Text denken, den ich vor einigen Jahren in einer großen Tageszeitung gelesen hatte. Der Artikel handelte von einer Studie, die sich mit der Wahrnehmung von Kunst beschäftigte. Der Verfasser wollte verstehen, wie sie eigentlich funktioniert, die vertrackte Beziehung zwischen Kunst und Mensch. Wie sehen wir uns Kunstwerke an? Wie lange bleibt jemand vor einem Werk stehen und warum? Was lösen sie in uns aus?

Eine schwarze nachgebaute Küchenzeile, ein Kühlschrank und eine Liege unter einer Glashaube. Im Hauptraum der Kunsthalle Bremerhaven.
Der Hauptraum der Kunsthalle Bremerhaven zu der Ausstellung „Stehend im Raum“ des Konzeptkünstlers Andreas Schmitten. 3 Plexiglasvitrinen in denen nachgebaute Objekte stehen. (c) Kim Rothe

Ausstellungsobjekte

Wie ich gedanklich auf den Artikel gekommen bin?! Im Hauptraum stehen mir drei recht große und beleuchtete Plexiglasvitrinen gegenüber. Ein Kasten beherbergt eine Küchenzeile bzw. ein Doppel-Spülbecken. Links daneben befindet sich eine Art Liege und unter der letzten Haube steht ein Kühlschrank. Alle drei Objekte wurden aus matten, schwarzem Kunststoff konstruiert und wirken durch ihre Standardgröße authentisch und theoretisch funktionstüchtig. Und das war alles. Mehr stand nicht auf dieser Ausstellungsfläche.

Ausstellung Andreas Schmitten "Stehend in Raum"
Titel: „Sitzend im Becken“ (links) und „Liegend auf dem Schrank“ (rechts) von Andreas Schmitten. (c) Kim Rothe

Ich stehe eine ganze Weile vor den Objekten und frage mich warum? Warum baut der Künstler Gegenstände einer Küche nach? Warum ist das Ausstellungswürdig? Und warum stehe ich seit unfassbaren 15 Minuten vor diesen beleuchteten Kästen?

Die Wirkkraft von Kunst

Es ist ja nicht so, dass die Schaukästen irgendetwas spannendes oder aufregendes zeigen. Ich kenne Küchen, ich verbringe am Tag mehrere Stunden in einer. Und eine Liege ist auch keine Seltenheit. Auch die schwarze Farbgebung irritiert mich nicht. Was ist es dann, was mich hier verweilen lässt? In dem Artikel, von dem ich gesprochen habe, ging es auch um die durchschnittliche Dauer eines durchschnittlichen Besuchers vor einem durchschnittlichen Kunstwerk. Sie beträgt in etwa elf Sekunden, was circa drei Atemzüge entspricht. Laut dem Artikel sind entweder die drei Kunstwerke von Andreas Schmitten als überdurchschnittlich anzusehen oder ich, die Besucherin.

Was löst Kunst in uns aus?

Da ich weiß, dass ich ziemlich normal bin, können es nur die Arbeiten von Andreas Schmitten sein, die außerordentlich sind. In ihrer augenscheinlichen Einfachheit lösen die nachgebauten Gegenstände in mir eine besondere Empfindung aus. Auf mich wirken sie unter ihrer Glaskuppel skulpturenartig und steril. Mit der Beleuchtung sogar hervorgehoben und besonders. Die ungewohnte Stille an den Wänden und die diffuse Beleuchtung im Ausstellungsraum tut ihr Übriges. Die einzigen Lichtquellen sind die Schaukästen. Nichts lenkt von den drei Werken ab.

Die Ästhetik von Schlichtheit faszinierte mich schon immer. Ich mag, wenn etwas ruhig und unaufgeregt ist. Und diese Arbeiten strahlen genau dies aus.

Detailansicht der Küchenzeile von Andreas Schmitten in der Kunsthalle Bremerhaven.
Detailansicht des Spülbeckens von Andreas Schmitten in der Kunsthalle Bremerhaven. (c) Kim Rothe

Sowie mich diese Einfachheit auch anzieht, so werde ich zugleich von ihr abgestoßen. Ich stehe vor diesem Schaukasten und versuche kunsthistorische Bezüge zuziehen und frage mich schließlich nach dem Sinn der Arbeit. Der Autor des Artikels benennt auch diese Problematik und ist der Meinung, dass allzu großes Wissen sowie das ständige Hinterfragen mitunter hinderlich sind. Es verhindert das „wirkliche“ Sehen, wodurch das Wesentliche leicht versäumt wird: sich den Kunstwerken und ihren Reizen zu öffnen. Daher höre ich damit auf. Ich höre auf, den Sinn zu erfragen und fange an die genau konzipierte Idee und handwerklich perfekt umgesetzte Arbeit zu sehen. Und bleibe einfach noch einen Augenblick stehen.

Im besten Fall ist Kunst zu gleichen Anteilen eine körperliche Erfahrung sowie eine Kopfsache. Da Wissen und Erfahrungen immer mit Empfindungen verknüpft sind. Weshalb die Begegnung mit Kunst so individuell und einzigartig ist. Daher ist es vollkommen in Ordnung, in der Kunsthalle Bremerhaven zu stehen und vor einer ästhetisch perfekten, nachgebauten Küchenzeile zu sagen „das ist Kunst!“.

[bre_note] 30. Juni bis 25. August 2019 Andreas Schmitten. Stehend im Raum.
Öffnungszeiten und mehr unter: www.kunsthalle-bremerhaven.de [/bre_note]

Im Nebenraum der Kunsthalle Bremerhaven. 5 Graphiken des Künstlers Andreas Schmitten. (c) Kim Rothe
Eine Frau hält sich ihren Rollkragen vor das halbe Gesicht und blickt in die Kamera.
Kim Rothe

Assistentin der Geschäftsführung, Hotels Adena und Amaris.

Ohne das leise Poltern des Hafens fühle ich mich nicht heimisch. Meistens sind es die Kleinigkeiten, die eine Stadt und das Leben in ihr ausmachen.

Bremerhaven im Blick

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